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Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
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schier hin?
    Der Hüter aber sprach:
    Wenn der Morgen schon kommt,
    So wird es doch Nacht sein.
    Wenn ihr schon fragt,
    So werdet ihr doch wieder kommen
    Und wieder fragen.
    Jesaja 21, 11 und 12
     
    Moresby war ein methodischer Mann.
    Das rote Blinklicht erlosch. Er griff nach oben, um die Verriegelung zu lösen und die Luke zu öffnen. Das grüne Licht erlosch. Moresby richtete sich auf, so daß Kopf und Schultern aus der Luke ragten. Der Kellerraum war wie erwartet menschenleer. Die kühle Luft roch schwach nach Ozon. Moresby stemmte sich hoch, kletterte aus dem ZVF und merkte, daß die kurze Leiter fehlte. Er knallte die Luke zu, sprang vom Rand des Polywasser-Tanks zu Boden und trat an den Metallspind, in dem sein Anzug hing. Zwei andere, die Saltus und Chaney gehörten, warteten in Plastikbeuteln auf ihre Besitzer. Moresby stellte fest, daß sich selbst im Inneren des Kleiderschranks eine dünne Staubschicht gebildet hatte. Als er angezogen war, glättete er die imaginären Falten seiner Luftwaffenuniform, für die er sich diesmal entschieden hatte.
    Moresby sah auf seine Uhr: 10.05. Er warf einen Blick auf die Wanduhr und stellte fest, daß heute wirklich der 4. Juli 1999 war. Die Uhr zeigte allerdings 4.10 – sechs Stunden Unterschied zur Startzeit. Die Außentemperatur betrug 18°C.
    Moresby entschloß sich, seine Uhr nach der Wanduhr zu stellen. Bevor er den Raum verließ, grüßte er zackig zu den beiden Fernsehkameras hinüber. Er stellte sich vor, daß die Ingenieure im Kontrollraum sich über diese kleine Geste freuen würden.
    Moresby folgte dem Korridor, in dem geradezu unheimliche Stille herrschte, zu dem Schutzraum. Seine Schritte wirbelten die dünne Staubschicht vom Boden auf. Als er die Tür des Schutzraums öffnete, schaltete sich die Deckenbeleuchtung automatisch ein. Moresby sah sich langsam um. Der Schutzraum schien in den letzten Jahren nicht benutzt worden zu sein; die Lagerbestände waren noch so ordentlich wie bei Moresbys letztem Besuch gestapelt. Er zündete eine Laterne an, um zu sehen, ob sie nach so langer Zeit noch brannte, beobachtete zufrieden die gleichmäßige Flamme und drehte sie wieder aus. Die Lagerbestände schienen noch in Ordnung zu sein. Aber dann fiel ihm etwas anderes ein: Er öffnete eine Büchse Wasser, um die Qualität zu prüfen, und mußte feststellen, daß es brackig und abgestanden schmeckte. Aber das war zu erwarten, wenn die Büchsen dieses Jahr nicht ersetzt worden waren. Ein unerwartetes Versehen …
    Auf der Werkbank standen drei gelbe Kartons.
    Er öffnete den ersten und fand darin eine kugelsichere Weste aus dünnem Kunststoffgewebe. Ihr Verwendungszweck brauchte nicht erklärt zu werden. Moresby zog seine Uniformjacke aus, legte die Weste an, zog die Jacke darüber und machte sich an die Arbeit.
    Moresby baute ein Tonbandgerät auf, testete es und benutzte es dann, um seine Beobachtungen festzuhalten: Die Leiter fehlte, er war fast fünf Stunden vor dem Start angekommen, im Kellergeschoß hatte sich Staub angesammelt, der Wasservorrat war nicht erneuert worden. Moresby äußerte keine persönliche Meinung zu diesen Punkten; er berichtete nur, was ihm aufgefallen war. Dann holte er sich ein Funkgerät, schloß es an die Außenantenne an und steckte den Netzstecker ein. Das Tonband lief, als er das Funkgerät auf einem Militärkanal einschaltete.
    Stimme: ›… um die Nordwestecke in südlicher Richtung vor – also auf Sie zu, Korporal. Geschätzte Stärke: zwölf, fünfzehn Mann. Achtung, sie haben Granatwerfer! Kommen.‹ Im Hintergrund wurde geschossen.
    Stimme: ›Verstanden. Wir haben hier ein Loch im Zaun. Irgendein Hundesohn hat versucht, mit einem Lastwagen durchzubrechen. Der Wagen brennt noch. Vielleicht hält sie das auf. Kommen.‹
    Stimme: ›Sie müssen sie unbedingt aufhalten, Korporal! Ich kann keinen Mann entbehren. Wir haben hier Rot drei! Ende.‹
    Das Gewehrfeuer verstummte, als das Funkgerät abgeschaltet wurde.
    Moresby war kein Mann, der panikartig oder überhastet reagierte. Deshalb begann er jetzt, sich methodisch für seinen Auftrag auszurüsten. Er schnallte sich ein Halfter mit einer Armeepistole um, entschied sich für ein Schnellfeuergewehr und stopfte sich alle Taschen mit Munition voll. Er war vorsichtig genug, seine Dienstgradabzeichen von der Jacke zu trennen, aber es widerstrebte ihm, die Uniform auszuziehen. Er bedauerte nur, daß hier keine Stahlhelme lagerten.
    Sein Marschgepäck bestand aus einem leichten Rucksack

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