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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Wagen zu verlassen, um sich die steifen Beine ein wenig zu vertreten, da pfiff eine Garbe aus dem Maschinengewehr den Zug entlang und sie drängten sich schnell zurück.
    »Gäbe es doch Wasser hier«, seufzte Konrad. Ihm lag die Zunge dick und trocken im Mund. »Ich habe Durst.«
    »Wir haben alle Durst«, antwortete Hedwig. Doch das machte Konrads Verlangen nach Wasser nicht erträglicher. Hitze lastete im Waggon. Kein Fahrtwind milderte sie.
    Da trat ein Pole an die Tür, lächelte und sagte höflich in einem Ton, als wollte er den Aufenthalt erklären und sich für den Zwischenfall entschuldigen: »Die Maschine ist kaputt. Maschinist will nur flicken, wenn Gold oder Silber bekommt. Sonst bleibt stehen.« Und damit kein Irrtum entstehe, zeigte er ein goldenes Zwanzigmarkstück, das er offenbar in einem anderen Waggon erpresst hatte.
    »Ich zähle bis zehn«, sagte er freundlich und begann.
    Bis fünf rührte sich niemand. Da zog die Frau neben dem Schnauzbart aus ihren Kleidern einen goldenen Ring. »Es ist mein Trauring«, sagte sie leise und legte ihn in den Hut, den der Pole bereithielt. Auch der alte Mann suchte in seinem Rock und ließ eine Münze in den Hut gleiten.
    »Nicht genug«, sagte der Pole sanft und zählte »acht«.
    »Nessbauer«, sagte der alte Mann, und Drohung lag in seiner Stimme.
    »Ich habe nichts! Was wollt ihr immer von mir?«, klagte der Schnauzbart.
    »Wir werfen deinen Sack hinaus«, sagte der alte Mann. Da fluchte der Nessbauer, zog seine Taschenuhr aus seinem Rock und warf sie wütend in den Hut.
    »Wie schwer er sich von seinen letzten Schätzen trennt«, lachte Hubertus, hob die Prothese ein wenig vom Stumpf des Oberarmes und entnahm diesem Versteck eine goldene Brosche, wog sie zweimal in der offenen Hand und ließ sie dann in den Hut springen.
    »Zehn«, zählte der Pole, ließ den Schatz durch die Finger gleiten und versicherte zufrieden: »Gleich geht es los.«
    »Gib uns Wasser«, bat Konrad.
    »Später«, versprach der Pole.
    »Ist das nicht eine Schande, was mit uns geschieht?«, nörgelte der Nessbauer.
    Niemand gab ihm Antwort.
    »Wie Vieh«, ereiferte er sich, »wie Vieh werden wir zusammengepfercht. Diebe! Alles Diebe! Den Hof haben sie gestohlen. Räuber! Mörder!« Er sprach nicht sehr laut, aber in seiner Stimme brannte Hass. »Mein Hof, meine Frau!«
    »Schweig!«, tadelte der Alte. »Wir alle büßen wie du. Oder hast du geklagt, als die Polen vertrieben, die Juden gemordet wurden, he?«
    »Ich habe nicht …«, wollte sich der Schnauzbart verteidigen.
    Hart unterbrach ihn der alte Mann: »Du hast es gewusst und deine Uniform weitergetragen. Schweig also!«
    »Aber wir«, warf eine Frau ein, »wir gehörten nicht dazu. Warum werden wir so gestraft? Ist das gerecht, dass Schuldige und Unschuldige …«
    Auch ihren Einwand schnitt der alte Mann erregt ab: »Wir alle haben das Unrecht hochschießen lassen und es nicht auszureißen versucht. Alle! Wer damals laut angeklagt hat, als andere Menschen Gewalt leiden mussten, der mag auch jetzt klagen.«
    Vater drückte Konrad fest die Hand.
    »Großvater«, flüsterte Hedwig, und Vater nickte.
    Nach einer halben Stunde hatte der Maschinist die Lokomotive wohl mit dem Geld bewogen weiterzufahren. In der Nacht ratterten sie durch den Bahnhof Stettin. Als sie am nächsten Morgen auf einem weißen Schild Eberswalde lasen, sagte Hubertus, dass es nicht mehr weit bis Berlin sei. Alle litten unter dem Durst, am meisten die Kinder. Mutter hatte in der Dunkelheit den letzten Rest der Milch der kleinen Elisabeth gegeben. Doch sie war längst nicht satt und schrie lange und jämmerlich. Konrad wachte erst spät aus einem leichten Halbschlaf auf. Seine Zunge schien rissig und klebte am Gaumen.
    »Ein Schlückchen Wasser nur«, flüsterte er leise vor sich hin. Hedwig und Albert schwiegen.
    Endlich hielt der Zug. Diesmal auf einem kleinen Bahnhof. Noch ehe jemand hinausspringen konnte, bellte das Maschinengewehr. Der Pole kam wieder.
    »Zwei Mann für Wasser!«, befahl er.
    Der alte Mann, der durch seine Gelassenheit ohne eine Abstimmung Wortführer des Wagens geworden war, bestimmte einen breitschultrigen Burschen und Hubertus. Sie trugen aus dem Güterschuppen eine Milchkanne herbei. Ein Füllwerk, das sonst die Lokomotivkessel speiste, spie aus seinem dicken Rüssel einen breiten Strahl helles, klares Wasser. Sie schleppten die Kanne zum Waggon. Die Tür war auf Geheiß des alten Mannes ganz aufgeschoben worden. Konrad stand mit seinem

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