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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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entrüstet, nuschelte was von
faschistischen Strukturen
und gab Unmengen an Ouzo aus. Obwohl die Mehrheit der Gäste aus Deutschen bestand, war man sich einig, dass Deutschland kalt und grau und scheiße sei.
    Mir war das zu pauschal, zu flach. Kalt und grau – okay, Scheißwinter. Andererseits herrschte in dieser Kneipe eine Bullenhitze, grau war es hier auch nicht, und überhaupt gab es in diesem Land wie fast überall auf der Welt Farbe und Wärme. Man musste nur danach suchen. Das fiel mir so nebenbei ein. Vor allem verwunderte mich die Wirkung des Ouzos. Das Anis-Gesöff schien in etlichen Hirnen eine politische Radikalisierung zu bewirken. Anfangs hatte ich’s genossen, der Mittelpunkt zu sein, von mir selbst begeistert, den Banküberfall in epischer Breite zu schildern und dabei, oh ja, die Bewunderung in einigen Augen wahrzunehmen, aber nach einiger Zeit ging mir die mit Romantik verkleisterte Sichtweise meiner Zuhörer schwer auf den Sack. Revolutionäre, unter ihnen RAF-Bewunderer, dankbar für jeden Ratschlag, bedrängten mich, fassten mich an, durchlöcherten mich mit Fragen. Natürlich befanden sich unter den Leuten nicht wenige mit vernünftigen Ansichten, aber sie lebten in einer anderen Welt und verstanden mich schon deshalb nicht. Wo war die Frau, verdammte Scheiße?
    »Greta? Ist vorhin von ihrem Freund abgeholt worden.«
    Greta hieß sie also. Noch zwei Ouzo, dann floh ich nach draußen.
    Den Heimweg ganz easy gefunden, Alter, Alter, wie ein Pfadfinder. Ich stand vor dem Haus, in dem ich wohnte und lobte mich, mit mir zufrieden. Vier Uhr morgens. Einige Meter entfernt flammte zuckend die Außenbeleuchtung der
Schlachterbörse
auf. Eine Frühgaststätte, in der sich gleich blutbeschmierte Schlachter, ausgelaugte Gastwirte und müde Taxifahrer mit riesigen Fleischportionen beschäftigen würden. Ich hatte dort schon mal gegessen – ein fußballgroßes Eisbein. Für einen Moment reizte mich jetzt der Gedanke, mir hemmungslos die Wampe vollzuschlagen, doch ich erinnerte mich, dass ich, so vollgefressen, beschissen schlafen würde.
    Während ich die steile Treppe zu meinem Nest hochstieg, freute ich mich darauf, ein paar Scheiben von meiner luftgetrockneten Salami abzusäbeln, genüsslich zu zerkauen und dazu noch einen kleinen Drink zu nehmen. Doch dann: Moment mal! Im Kopf sprang die Alarmsirene an. Die Tür nur angelehnt und nicht verschlossen? Ich sah genauer hin und stellte fest, dass man sie aufgebrochen hatte.
    Jetzt aber ganz, ganz leise, sagte ich mir. Mein Herzschlag erschien mir verräterisch laut. Ich durchquerte den Flur auf Zehenspitzen, obwohl besoffen fast geräuschlos, schob vorsichtig den Kopf ins Zimmer – und sah erstarrend, wie ein Mann mit langen, fettigen Haaren dabei war, den Stecker des Kassettenrekorder-Kabels aus der Steckdose zu ziehen. Den Rekorder hatte er sich bereits unter den Arm geklemmt. Auf dem Rücken seiner Lederjacke stand
Fuck the Beatles
. Ich kannte den Wichser. Ricky, Mitglied der Fixer-WG im ersten Stock.
    »Stell das sofort wieder hin!«, befahl ich so ruhig wie möglich. Der Schmutzfink hatte schon allein wegen der Beatles-Beleidigung was auf die Fresse verdient. Er zuckte zusammen, drehte sich um, stellte schief grinsend das Gerät ab und gab die dümmste Antwort des Jahres: »Ey, Alter, nix für ungut, ich wollte mir das Ding nur mal ausleihen, ehrlich.«
    Jetzt musst du handeln, sagte der verrohte Kerl in mir, den ich an sich nicht mochte, aber ab und zu brauchte. Ich schlug sofort zu. Der erste Schlag traf seine Nase, der zweite warf ihn zu Boden; rasend vor Wut trat und zerrte ich ihn aus dem Zimmer, durch den Flur und ins Treppenhaus, mit der Absicht, ihn die Treppe hinunterzustoßen, beherrschte mich jedoch zu meinem und seinem Glück, verpasste ihm noch eine Ohrfeige und zischte ihm heiß ins Genick: »Wag dich nie wieder hier hoch, du Ratte!«
    Anschließend sank ich schweratmend aufs Bett. Die Luft im Zimmer war mit Schwermut gefüllt, und alle Gegenstände wirkten beschmutzt und entwürdigt. Ich hätte der Ratte den Arm brechen sollen, überlegte ich. Der Kerl war in mein Nest eingedrungen, hatte meine Sachen durchwühlt. Nicht mal im Knast hatte es einer, abgesehen von den Schließern, gewagt, im Spind eines anderen rumzuschnüffeln. Das Geld war noch da, am dümmsten Aufbewahrungsort der Welt – unter der Matratze. Ricky hatte mich wohl für raffinierter gehalten.
    Unruhig erhob ich mich. Noch was in der Flasche? Ich goss den Rest des

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