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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Whiskeys in ein Glas, zündete eine Lucky an, setzte mich wieder, inhalierte tief, stand wieder auf, um den Rekorder anzuschließen und eine Kassette, irgendeine wahllos herausgegriffene, einzuschieben.
    Oh Gott! Voll der Blues:
Lonesome Room Blues
von Muddy Waters. Eine der Kassetten, die Doris für mich aufgenommen hatte. Es kam mir jetzt so vor, als hätte sie damals bereits gewusst, dass ich bald darauf einsam und verloren in einem schäbigen Mansardenzimmer vor mich hinvegetieren würde.
    Neonröhren, eine davon müde flackernd, tauchten den Schlachthof in bleiches Licht. Unten auf der Straße verfluchte eine Frau die Männer. Jemand warf Flaschen gegen eine Wand. Der Himmel über der Stadt war schwarz wie Tusche.
    Morgen als erstes die Tür reparieren, dachte ich. Muss irgendwie zu Geld kommen, dachte ich. Muss mir was überlegen. Nicht nur die Junkies, die ganze Welt hatte sich gegen mich verschworen. Ich hatte im Paradies Lokalverbot. Vor dem prächtigen Eingang wachte ein Türsteher, der mich nicht für würdig befand, der mich, verächtlich mit der Hand wedelnd, aufforderte, mich zu verpissen.
    Kopfschmerzen, weiche Knie. Der Tag fing schon beschissen an. Aber das war noch gar nichts. Irgendein Schwein hatte den Buick abgefackelt. Vielleicht die Junkies? Die wussten ja, dass die auffällige Karre mir gehörte.
    Die Beileidsbekundung des Polizisten war zweifellos echt, so emotional, dass sie mich peinlich berührte. Der Mann liebte Oldtimer mehr als seine Frau, wie er sagte. Einer Freveltat solchen Ausmaßes sei er in seiner ganzen Dienstzeit nicht begegnet.
    Was mich doch sehr verwunderte. Es war nur ein Auto. Ein schönes Auto, klar, und eine Erinnerung an Fred. Aber die Aufmerksamkeit, die der Wagen überall erregt hatte, war mir längst lästig geworden. Mich faszinierten die neuen Autos. Gegen die wirkte jeder Oldtimer steinzeitlich. Außer den technischen Raffinessen hatten moderne Autos zudem den unschätzbaren Vorteil, in jede normale Parklücke zu passen.
    Allerdings besaß ich jetzt weder ein altes noch ein neues Fahrzeug. Ich schien vom Schicksal geschlagen zu sein. Und wenn das Schicksal mich gerade mal nicht piesackte, war ich immer noch in der Lage, mir selbst ein Bein zu stellen. Am vorigen Abend zum Beispiel, die Scheiße im
Rigas Ferreos
. Welcher Teufel mich da wohl geritten hatte. Der Bankräuber! Schön und gut, für eine Stunde oder zwei der geheimnisvolle Outlaw, der neue John Dillinger, Clyde ohne Bonnie, dazu Ouzo ohne Ende, lockere Stimmung, hatte Spaß gemacht, keine Frage. Aber nun war ich in dieser Kneipe abgestempelt. Ich hatte mir ja sozusagen selbst den Stempel auf die Stirn gedrückt.
Autoknacker, Bankräuber, alles in allem zehn Jahre Knast!
Auf meine kriminelle Laufbahn war ich nie stolz gewesen. Wozu auch? Kein großer Coup, kein pfiffiges Bubenstück – nur die simple Art: Autos klauen und windigen Händlern für ein Butterbrot verkaufen. Den Banküberfall in Reichelsheim hätte ich liebend gern aus meinem Gedächtnis getilgt – obwohl 600 Mark für mich auch nicht gerade Peanuts waren, ich meine, für 600 Mark hätte ich in einem korrekten Puff zwölfmal ficken können, ohne Kondom und mit allen Schikanen … Für die Kohle hätten wir drei geile Kopfhörer Marke Sennheiser bekommen, etwa fünfundzwanzig Flaschen Jack Daniel’s – ach, genug jetzt, Schluss mit dem Quatsch. Ich musste mir wieder einmal eingestehen, dass die von mir selbst aufgestellte Messlatte für mich schon immer zu hoch gewesen war. Als Sänger, dachte ich manchmal, mit einer guten Band, hätte ich meine Ansprüche möglicherweise sogar übertroffen. Nichts als Ausreden, klar, nur die Wirklichkeit zählte – und die gefiel mir zur Zeit überhaupt nicht. Sie war weder flauschig noch farbenfroh, gab sich grimmig, hart und kalt, was natürlich auch am Wetter lag – zum Teil jedenfalls, denn der eisige Wind trieb jedem Tränen in die Augen. Eine Ahnung, schon vor Wochen aufgetaucht und anfangs vage, schälte sich aus dem Nebel, die Konturen wurden ganz allmählich deutlich, und nun erkannte ich die Botschaft: Wer so lange im Gefängnis gesessen und in der Monotonie des Knastalltags sozusagen verwaltet worden war, das Eingesperrtsein quasi entmündigt ertragen hatte, dem musste die Freiheit, in der man täglich Entscheidungen zu treffen hatte, grimmig, kalt und hart vorkommen. Nichts wurde einem geschenkt, wenig wurde einem gegönnt. Man durfte sich frei bewegen, in jede Straße, jeden Pfad einbiegen,

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