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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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die Bühne …
    »Nun sitzen wir hier schon seit fast einer Stunde«, murrte Bülent nach einem Blick auf seine Armbanduhr, und ich ertappte mich umgehend bei einem weiteren Vorurteil. Nanu, so ungeduldig? Als Orientale? Den Orientalen bedeutet doch eine Stunde gar nichts, sie haben doch den Ruf, unpünktlich zu sein, weil ihr Zeitempfinden nach westlichen Gesichtspunkten aus der Zeit vor der Erfindung mechanischer Uhren stammt. Verdammt noch mal,
ich
war berechtigt, ungeduldig zu sein, denn in
meinem
Kulturkreis diente die tägliche Zeiteinteilung bis hinunter zum Sekundentakt als das enge Korsett, in das man sich seufzend, aber einsichtig, der allgemeinen Disziplin zuliebe, zwängte. Wir, die energischen westlichen Macher, beherrschten die Zeit.
    Unangenehm berührt, schon weil ich mich keinesfalls zu den westlichen Machern zählte, wischte ich diesen Unsinn samt dem Bild des stundenlang im Teehaus Wasserpfeife rauchenden Orientalen hinweg, doch dieser fast schon rituelle, wenn auch nur im Kopf geschehene Akt der Vorurteilsbeseitigung minderte meine Ungeduld keineswegs.
    Misstrauisch wurde jeder Kunde von uns beäugt. Aber keine Gefahr. Leute aus dem Viertel. Alkoholiker zählten Münze für Münze ihr schmutziges Kleingeld auf den Tresen, für Flachmänner oder Schnaps in Miniaturflaschen, deren Verschluss sofort von schmutzigen, rissigen Fingern geöffnet wurde, deren Inhalt sofort wie Medizin in den Rachen geschüttet wurde, Langhaarige deckten sich mit Tabak und Blättchen für ihre Joints ein, ältere Frauen, Gesichter zerfurcht von Arbeit, Sorgen und Resignation, kauften die Blätter der Regenbogen-Presse und schämten sich nicht einmal, klebrige Kinder befreiten klebrige Groschen aus ihren klebrigen Händen und bekamen klebrige Bonbons dafür. Draußen machte sich Dunkelheit breit, Licht flammte hinter Fenstern und Reklameschildern auf. Spätestens jetzt, überlegte ich, wird Berti unruhig werden, wenn er es nicht schon längst geworden ist.
    Der Ladeninhaber, endlich – und sogleich die kultivierte orientalische Höflichkeit mit wohlgesetzten Worten demonstrierend. Dabei ruhte sein Blick fragend auf uns, während sein Sohn etwas auf Farsi zu ihm sagte.
    Keine Kunden im Laden.
    »Was kann ich für euch tun?«
    Ich zog zwei Hunderter aus der Tasche. »Was hältst du davon?«
    Die Finger des Persers, schmal und lang, streichelten das Papier und hielten die Scheine ins Neonlicht überm Tresen.
    »Was soll damit sein? Ziemlich neu und garantiert keine Blüten. Aus welchem Grund wollt ihr mich testen?« Unmutsfalte zwischen den Augenbrauen, nicht mehr ganz so höflicher Ton.
    Es dauerte einen Moment, bis ich kapierte. Nebenbei hörte ich Bülents erregtes Schnauben. Ich musste reagieren, zwang mich zu einem verzerrten Grinsen und nahm die Scheine so gelassen wie möglich wieder an mich. »Dann bin ich ja beruhigt. Wegen der letzten Scheine, du weißt schon, bin ich verunsichert, trau mich gar nicht zur Bank zu gehen, aus Angst, die könnten die Lappen einbehalten. Na ja, und dann Polizei und so, keinen Bock drauf.«
    »Hast du denn noch welche von den anderen Scheinen, mein Freund?« Der Perser wirkte wieder vollkommen ruhig, sozusagen in sich ruhend, ein gleichmütiger Weiser in einem dämmrigen, orientalisch riechenden Tabakladen. In seinen Augen sah ich jedoch die Wachsamkeit, ich sah, wie sie funkelte und wie hinter dem Funkeln der überaus konzentrierte Geschäftssinn Schritt für Schritt und dennoch flott die Lage checkte.
    »Hm, ja«, sagte ich zögernd. »Ich könnte dir ein paar davon überlassen. Du hast mir ja sehr geholfen.«
    »Das wäre sehr nobel, mein Freund.«
    »Die beiden echten Hunderter kannst du ebenfalls haben, ich meine, was soll der Geiz.«
    Graziös und vielleicht, ich war mir nicht sicher, ein wenig spöttisch hob der Perser die Augenbrauen. »Du verstehst es, Notleidenden Freude zu bereiten, mein lieber Freund.«
    Erst mal einen Kaffee. Oder schon einen Bourbon?
    »Trinkst du Whiskey?«
    »Ich bin Moslem.«
    »Weiß ich. Aber ich dachte, ihr dürft aus medizinischen Gründen … Und in dieser Situation …«
    »Mir geht es gut.«
    Also Kaffee. Obwohl wir beide so aufgeregt waren, als hätten wir uns Koffein intravenös reingepfiffen. Aber trotzdem. Schon wegen des beruhigenden Geruchs – und wegen des schönen Zusammenspiels von Zigarettenrauchen und Reden.
    Der clevere Kater hatte ins Spülbecken gepisst und geschissen. Feste Würstchen. Keine Spur von Würmern. Der Dreck ließ sich

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