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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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wusste nicht warum, ich meine, ich konnte ganz gut mit Messer und Gabel umgehen, schmatzte nicht, ließ nichts fallen und ähnelte auch äußerlich keineswegs einem Neandertaler. War wohl die allgemeine Verunsicherung, die mich befallen hatte wie ein Krankheitskeim. Bülent hingegen wirkte neuerdings reifer, gar nicht mehr wie ein Teenager. Der Kater schien seit dem Genuss der ersten Ölsardinen in Richtung Gourmet zu tendieren – ein abgeklärter Streuner, der es von der Gosse mehrere Etagen hoch bis in dieses Mansardenzimmer geschafft hatte. Wenig Auslauf, keine Weiber, aber dafür keine Kämpfe mehr mit brutalen Rivalen, keine Angst mehr vor Hunden und anderen Katzenfeinden, voll aufgedrehte Heizung, Spitzenküche, Streicheleinheiten satt.
    Bülent hatte, schon sehr vertraut mit mir und dem Zimmer, Kaffee gekocht, Tassen gespült und abgetrocknet, duftenden Kaffee eingeschenkt – alles wirkte auf einmal so friedlich.
    Fast wie eine Familie, dachte ich, vom Geruch des Kaffees in sentimentale Stimmung versetzt. Was schenke ich Bülent und Elvis zu Weihnachten?, dachte ich gleichzeitig, in freundlichen Gedanken badend. Doch gleich darauf war alles weg, geplatzt, und wie ein Stromschlag durchzuckte es mich. Ich riss die Augen auf und wusste, dass ich jetzt auf die beiden in höchstem Maße beunruhigend wirkte. »Sie kennen ja meinen vollen Namen«, stieß ich hervor. »Ich hab mich hier in Hamburg ordnungsgemäß angemeldet. Jetzt ist erst mal Wochenende. Da hat das Einwohnermeldeamt geschlossen. Aber schon am Montag könnten sie meine Adresse haben.« Statt zu weinen saugte ich an der Zigarette. »Ich sehe schon vor mir, wie sie die Tür aufbrechen, die morsche Scheißtür, mit einem Tritt, ähnlich wie in Friedberg, mit dem Unterschied, dass sie hier nicht von Bodyguards umgenietet werden!« Da ich sehr wohl bemerkte, wie meine Stimme von Wort zu Wort schriller wurde und aus meinem Mund Speichel floss, brach ich den Vortrag ab. Geile Musik. Sie drang erst jetzt in mein Bewusstsein, Thin Lizzy,
Whisky In The Jar
, doch der Text erschien mir momentan unpassend. »… for about six or maybe seven, in walked Captain Farrell – I jumped up, fired off my pistols and I shot him with both barrels …!« Aber auch egal – oder doch nicht egal, vielleicht ein Omen?
    »Verdammte Scheiße!«, fluchte Bülent, der selten fluchte, und das bedeutete, dass er begriffen hatte, wie kompliziert die Lage wirklich war. Es ging nicht um Bullen, die geschmeidig aus dem Schatten schlüpfen, sachlich ihre Marke zeigen und ›Herr Lubkowitz? Sie sind verhaftet‹ nuscheln würden, sondern um Abschaum, um Schläger oder gar Killer, deren Dienstanweisung vermutlich sehr knapp gehalten war, und vor allem, so fürchtete ich, im schroffen Gegensatz zur christlichen Botschaft stand, irgendwas Brutales, dazu noch vulgär formuliert, so was Prägnantes wie ›reißt dem Schwein die Eier ab und steckt sie ihm ins Maul‹!
    Aufgewühlt ging ich auf und ab, auf der Suche nach einem klaren Gedanken, starrte aus dem Fenster, natürlich zuerst auf den Schlachthof, dann auf Baumskelette, auf Dächer, die in der Sonne glänzten, auf Rauchgewölk, das aus den Schornsteinen quoll und in der Winterluft verwehte. Ein Krähenschwarm flog mit heiserem Krächzen vorbei.
    »Ich will hier nicht weg«, sagte ich leise. »Ich will euch beide nicht verlieren.« Und empfand meine Offenheit sofort als peinlich.
    Bewegt sprang der Türke vom Stuhl, stürzte sich auf mich und umarmte mich so stürmisch, dass mir angst und bange wurde. Der Kater,
positive vibrations
spürend, strich mit erhobenem Schwanz und schnurrend um die Menschenbeine.
    Auch das noch, dachte ich, überwältigt von so viel Zuneigung, drückte Bülent aber dennoch mit Vergnügen an mich, und das Gefühl der Dankbarkeit durchdrang mich so intensiv, dass ich fürchtete, davon zersetzt zu werden wie von einer scharfen Säure. Nun also der Abschied. Jetzt bloß nicht sentimental werden: »Ich brauch ein Auto und einen Katzenkorb«, sagte ich forsch, »schade, dass wir nicht die Chance hatten, uns besser kennenzulernen.«
    Mit eckigen Bewegungen befreite ich mich aus der Umarmung, zog hinter dem Bett eine Einkaufstüte hervor, drückte sie Bülent samt Inhalt in die Hand, wieder mit eckigen Bewegungen, sehr verkrampft, ist halt so meine Art, wenn Rührung mich beherrscht. »Dein Anteil, Alter, Fünfzig Riesen, mach was draus! Aber nicht alles ins Eros-Center tragen.« Verklemmter Scherz, verklemmtes

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