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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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glaubte, sogleich auf die Straße stürzen würden, um …, ja, um was zu tun? Lynchen? Ich zog die Pistole. Das Entsichern und Durchladen lief so flüssig ab, dass die Pisser regelrecht erstarrten. Nun glotzten sie, starr vor Angst, und wünschten, sie könnten die Zeit zurückdrehen bis zu dem Moment, in dem ich in ihr Blickfeld geraten war, in dem sie noch die Möglichkeit gehabt hatten mich einfach zu ignorieren. ›Neun-Schuss-Magazin‹, sagte ich kühl, ›das werde ich jetzt verballern. Und dann zähle ich die Toten.‹ Ja, ich weiß, hört sich geschmacklos an, wie aus einem schlechten Film. Aber, Hans, auf einmal war ich der Chef. Vom Griff der Pistole und von dem kühlen Metall floss ungeahnte Kraft in meine Hand, in den ganzen Körper, um sich in meinem Kopf zu sammeln. Vor mir standen entsetzte Kinder, die plötzlich verstanden, wie schnell der herbeigesehnte Nachmittags-Kick zu einer verdammt hässlichen Angelegenheit werden konnte. In diesem Moment, Hans, ganz ehrlich, fand ich es toll, der böse Türke zu sein.«
    Ich grinste verstehend. »Na, dann haben wir ja zumindest beide schon mal eine Waffe auf Menschen gerichtet.«
    Kurz vor der U-Bahn-Station Landungsbrücken verließ der Zug die Unterwelt und stieß ins Tageslicht. Beeindruckendes Elbe-Hafen-Panorama. Aber keine Zeit, im Moment leider nix mit
Time Is On My Side
. Wir eilten geschäftig die Treppe hinunter, bogen nach links, stürmten mit festen Schritten vorwärts, und jeder einzelne unserer Schritte hinterließ eine Spur aus feuchtem Dreck und Energie. Wir stürmten, um ehrlich zu sein, hauptsächlich wegen der Kälte so ungestüm drauflos, vorbei an Kneipen, Läden für Seemannsbekleidung und Schiffsbedarf, an Büros von Schiffsmaklern, kleinen Reedereien, vorbei an Seemannskirchen, Speditionen. Die Gegend kannte ich nur aus dem U-Bahn-Fenster. Von den Landungsbrücken bis zum Rödingsmarkt verläuft die U-Bahn-Strecke oberirdisch, auf einem Viadukt, und im Fahrpreis ist die phantastische Aussicht einbegriffen.
    Das Bürogebäude. Auf einer Messingplatte ein Dutzend Namen. Aha, Berthold Drossel, Zeitarbeits-Vermittlung für Hafen- und Lagerarbeiten.
    Ich klingelte, vertraute dem Mikrofon meinen Namen an und dachte derweil, gottverdammt, ey, du kannst noch immer umdrehen und dich verpissen. Der Türöffner summte, ich stieß die Tür auf und betrat das Haus.
    Zweiter Stock. Die Vorzimmerdame, von meinem Anblick sichtlich angewidert, wedelte richtungsweisend mit der Hand, ich grinste verunsichert und öffnete, etwas stockend, die angewedelte Tür.
    Blick auf den Hafen, nicht schlecht, noch imposanter als aus dem U-Bahn-Fenster, aber momentan alles grau in grau. Regen war angekündigt worden. Protzige Einrichtung, Schreibtisch mit den Ausmaßen einer Tischtennisplatte, natürlich aus feinstem Holz.
    Berti bei Tageslicht: teils grau, teils vergilbt, die Zigarre in seinem Mund vermutlich von bester Qualität, aber erkaltet und nur ein weiteres Statussymbol. Das geflötete »Hallo, mein Lieber!« kam mir eine Spur zu überschwänglich vor. »Was trinken? Käffchen, Teechen, Bierchen?«
    »Im Moment nicht, danke.«
    »Später gibt’s nix mehr.« Kurzes Lachen. »Aber hast recht, bist einer, der sein Ding durchzieht und erst nach Feierabend die Sau rauslässt. Gefällt mir. Du kannst bei mir was werden.« Er zog eine Umhängetasche aus Plastik hervor, auf der
Air France
stand. Die Tasche war prall gefüllt, und ich war beeindruckt von dem Volumen, das eintausend Hunderter, egal ob gefälscht oder echt, ausfüllten, und fragte mich, ob die Riemen mir in die Schulter schneiden würden.
    »Kannst die Kohle mit der Tasche übergeben. Verstehst du? Die Tasche gibt’s umsonst dazu. Wie auf dem Fischmarkt. Wenn du zehn Kilo Bananen kaufst, kriegst du die Plastiktüte gratis dazu.« Er freute sich über den Scherz, ich lachte gezwungenermaßen mit.
    »Die Adresse kennst du? Agnesstraße, Winterhude, schöne Villa in ’ner schönen Gegend. Danach zum ZOB und dann gleich mit dem Koffer zu mir. Welchen Wagen fährst du?«
    »Opel Rekord«, log ich. »Nicht mehr ganz frisch, aber intakt und unauffällig.«
    Berti wurde tiefsinnig. »Ja, ja, die Autos. Soll ich dir mal was sagen? Sie sind die Meilensteine an der Straße unseres Lebens. Wenn man später Erfolg hat und einen dicken Schlitten fährt und das irgendwann für selbstverständlich hält, erinnert man sich mit Wehmut an die erste eigene Karre und fragt sich, ob das einfache Leben damals nicht doch

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