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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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so sagt, wie aus dem Gesicht geschnitten, eine verjüngte Kopie, eindeutig der Sohn. »Ihr könnt hier warten, ich koch grade Tee.« Er holte zwei Hocker aus dem hinteren Kabuff, das, wie ich vage durch den Plastikstreifen-Vorhang erkennen konnte, als Lagerraum, Büro und Esszimmer diente.
    In dem dämmrigen Tabak- und Zeitschriftenladen roch es so angenehm wie letztens – und noch intensiver, süßlicher, fremdartiger, noch, ja, wie denn?, noch orientalischer.
    »Opium«, murmelte mir Bülent ins Ohr, als der junge Perser im Hinterzimmer Tee aufbrühte. »Hier wird Opium geraucht. Nicht in diesem Moment.« Er schnupperte herum. »Aber der Geruch liegt in der Luft, klebt an den Wänden, an der Decke, am Plastikstreifen-Vorhang. Der Geruch ist mir so vertraut wie der von Schafskäse, Holzkohle-Feuer und Helva. Ich komme ja aus ’ner Opium-Gegend, aus einem Kaff bei Bingöl. Du weißt natürlich nicht, wo das liegt, weil euch Anatolien noch weniger interessiert als Sibirien, aber ist auch egal. Auf jeden Fall hab ich diesen Geruch seit meiner Geburt in der Nase.«
    »Schon wieder so’n blöder Seitenhieb«, murrte ich. »Als ob jeder Deutsche nur die Landkarte von Europa kennen würde. Du hast dir ’ne ganze Menge Vorurteile aufgeladen, mein Lieber. Bist auch nicht viel besser als die Deutschen.«
    Er starrte mich grimmig grinsend an. »Dann nenn mir doch mal ’ne Stadt in Anatolien, aber keine von den Touristenorten an der Küste, denn Antalya und Alanya kennt ja inzwischen jeder.
    »Ankara«, sagte ich cool – und, das in mir sprudelnde Triumphgefühl genießend: »Erzurum, Konya, Bursa, Adana, Afyon, Bingöl.«
    Bülent staunte erwartungsgemäß, wurde nachdenklich, nickte mir anerkennend zu, konnte natürlich nicht wissen, dass ich zwei Gefängnis-Jahre mit einem zwar gutmütigen, aber dumpf-rassistischen Zellengenossen verbracht hatte, der für eine deutsche Firma in Erzurum, Konya, Bursa, Adana und Afyon tätig gewesen war und mir in diesen zwei Jahren täglich, dabei ständig über die Blödheit der Anatolier herziehend, davon erzählt hatte – ganz genau, so war’s gewesen, dieses Arschloch hatte zwei Jahre lang Tag für Tag die Städtenamen Erzurum, Konya, Bursa, Adana und Afyon in mein Ohr gehämmert, und ich hätte niemals angenommen, dass mir das jemals irgendwie zunutze sein würde. Und jetzt auf einmal, peng, eine Belohnung für die Erzurum-Konya-Bursa-Adana-Afyon-Folter: Hochachtung und Scham in Bülents Blick.
    Der junge Perser, mit nebligen Opium-Augen und wahrscheinlich des Opiums wegen wortkarg, brachte uns Tee in Gläsern, stark gesüßten Tee, den wir schweigsam schlürften, mit unseren Gedanken beschäftigt, jedenfalls was mich betraf.
    Ich sollte mich von dem Jungen nicht in diesen Dschungel begleiten lassen, sagte ich mir. Ich wusste ja noch ganz genau, wie ich vor etwa dreizehn Jahren gedacht und empfunden hatte: kein Überblick, aber Kämpferherz und eine Million verrückte Ideen. Mit achtzehn ist man risikofreudig und ahnungslos und landet schnell im Knast, wenn man glaubt, gegen das Gesetz zu verstoßen sei Teil des Abenteuers. Ich lachte bitter in mich hinein. Mit einunddreißig landet man auch schnell im Knast, trotz des mit Erfahrungen prall gefüllten Tornisters auf dem Buckel, wenn man so wenig daraus gelernt hat wie ich, wenn man wie ich entschlossen und karrierebewusst in den Dschungel der Unterwelt marschiert, aber weder einen Kompass besitzt, noch an den Ariadne-Faden gedacht hat. Und schon befinde ich mich tief im Dickicht, weit entfernt von den scheinbar so klaren Konturen der Zivilisation, mit den Gesetzen dieses Dschungels nur unzureichend vertraut. Ich weiß trotz meiner zahlreichen Begegnungen mit den Bullen kaum etwas über ihre Arbeitsweise und nur wenig über ihre sich ständig erweiternden technischen Möglichkeiten; wie dicht das Beziehungsgeflecht der oberen Gangster-Liga sein kann, hab ich ja in Friedberg auf schockierende Weise erlebt, aber auch da nur von außen. Ich gehöre nicht richtig dazu, spiele nur am Rande mit, kenne keinen einzigen jener zum Überleben so wichtigen Informanten und habe dennoch einem nicht gerade unbedeutenden Gangsterboss den Kampf angesagt. Aus Notwehr – na und? Ich wollte ja unbedingt in dieser Szene mitmischen. Als Autoknacker bewegte ich mich am einigermaßen überschaubaren Rand des Dschungels. Einfache Strukturen. Ich kam niemandem in die Quere, mein Werkzeug war von der einfachsten Art, die Sache ging jedesmal ruckzuck über

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