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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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mir vorbei- und in mich hineinfließen ließ, und wir beide, Fred und ich, das Wageninnere mit dem Rauch von Lucky Strikes einnebelten, fragte ich mich, ob die Moleküle dieses Fahrzeugs so etwas wie ein kollektives Erinnerungsvermögen hätten und sich an die Fahrten in ihrer Jugendzeit über die Highways von Amerika, vielleicht sogar über die Route 66, erinnerten, was natürlich Quatsch war, mir aber irgendwie als Allegorie schön passend oder zumindest schön kitschig vorkam. Zwar konnte ich auch jetzt keinen rechten Sinn im Sein erkennen, aber immerhin fühlte ich mich saugut und konnte sowohl die Rock’n’Roller als auch die Hippies vollkommen verstehen, mal abgesehen davon, dass ohnehin viele Hippies den Rock’n’Roll verstanden hatten.
    Erstaunlich, die vielen Lokale in der Friedberger Altstadt – nicht wenige mit schlechtem Ruf. Drei Bordelle! Nicht übel für eine Kleinstadt. Am Abend betranken wir uns in einer der Kneipen mit schlechtem Ruf, in der Fred so gut wie jeden kannte. Die Musikbox war vollgepackt mit Elvis-Stücken. An einer Wand hing ein Elvis-Poster, jetzt mit Trauerflor. Weil der King angeblich einmal für zehn Minuten hier hereingeschaut und eine Cola getrunken hatte. Klar, dass hier die schlechte Nachricht aus Graceland, obwohl schon eine Woche alt, das Hauptthema war. Nach dem zehnten
Jailhouse Rock
wankten wir in die bürgerliche Wohnung, wurden dort sogleich von ihrem bürgerlichen Geruch geradezu besprüht, saßen dann in diesem Geruch und ihn auch schon selbst ausdünstend bei Kaffee und Leibniz-Keksen in der Küche, später in Freds antibürgerlichem Zimmer, jetzt bei Bourbon und Erdnüssen, mit Elvis volle Kanne aus der Stereo-Anlage, wir redend und redend, uns manchmal gegenseitig auf Gitarrenriffs von Scotty Moore oder Saxophon-Soli von Boots Randolph aufmerksam machend, in vielen Dingen erstaunlich und beglückend einig. Fred vor allem wirkte, als hätte er das große Los gezogen. Ich war das große Los? Bisher hatte ich eher als Niete gegolten. Nicht, dass ich mich auch als eine solche gesehen hätte.
    Ich schlief dann in Freds Bett – und der stieg mit einem Gefühl uferlosen Triumphs in das nach Lavendel riechende Bett seiner Mutter. Eine bewusste Provokation, vermutete ich, ein Akt der Entweihung. Solche Probleme waren mir fremd. Meine Eltern hatten mich nach meiner zweiten Verurteilung quasi verstoßen, als Sohn gestrichen. Es gab keinen Kontakt mehr. Ich hatte meine Eltern ebenfalls gestrichen. Sie brauchten mich nicht, ich brauchte sie nicht. Meine Erzeuger – na und? Weiter verband mich nichts mit ihnen.
    Ich fühlte mich wohl in Freds Bett – und schon schlief ich ein.
    Wurde jedoch gegen Mittag von einer älteren, schmalen Frau mit strenger Ältere-schmale-Frau-Frisur und strengem Blick wachgerüttelt. Nicht etwa zögerlich oder mehr oder weniger geduldig, sondern brutal, als sei ich ein unerlaubt eingedrungener Penner.
    »Wer sind Sie? Was machen Sie hier?« Strafvollzugsbeamten-Ton. Obwohl noch nicht einmal richtig wach, wusste ich sofort, wen ich vor mir hatte.
    »Was haben Sie meinem Sohn angetan? Sie verkommenes Subjekt! Stehen Sie auf! Sofort!«
    Ein vertrauter Ton, der mich immer und so auch jetzt automatisch zum Sünder werden ließ, zum ertappten Selbstbefriediger, Autoknacker, Bankräuber, Ladendieb, von Kindheit an kleinlaut vor den Eltern, Polizisten und Richtern, gehorsam vor Strafvollzugsbeamten. Ich stotterte eine wirre Entschuldigung, wobei ich mich fragte, ob ich nackt, wie ich war, aus dem Bett steigen sollte, ob ich die Dame bitten sollte, sich umzudrehen. Die Morgenlatte wie ein Betonpfeiler. Enormer Harndrang.
    Aber Frau Fink stufte mich Gott sei Dank als eher unwichtig ein, wirbelte herum, eilte in ihr Zimmer – um dort einen Schrei auszustoßen, der wohl schon seit ihrem Betreten der Wohnung darauf gewartet hatte, ausgestoßen zu werden.
    Während ich im Bad meine Blase entleerte und mich oberflächlich wusch, drang ihre Stimme schneidend, einer Fräse gleich, durch die Tür. Kurz darauf betrat ich die Küche, ein Eindringling, ein Fremdkörper mit verschorftem Gesicht, in den zu weiten Klamotten des Sohnes. Mein neuer Freund saß dort zusammengesunken, in einen Bademantel gehüllt, ein Häufchen Elend. Seine Mutter, die Richterin, stand vor ihm, in ihrer Miene keine Spur von Milde, ihre Stimme scharf wie ein Fallbeil. »Ich bin sprachlos«, behauptete sie fälschlicherweise. Das sei ja wohl das Letzte, schimpfte sie, er in ihrem Bett, dass

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