Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
Vom Netzwerk:
nächsten Monaten, Jahren, Jahrzehnten auf keiner irgendwie attraktiven Bühne singen würde. Aber trotzdem ’ne schöne Vorstellung, ganz abgesehen davon, dass wir vor allem das Gefühl des Unterwegsseins genossen, wozu nicht zuletzt die Songs, die uns umspülten, beitrugen. Nicht nur Elvis-Songs – die auch, logisch,
Mystery Train
und solche Sachen –, denn Fred besaß wirklich ein feines Gespür für Musik, für
unsere
Musik, und diese Kassette mit Unterwegs-Songs enthüllte zu meiner fortwährenden Verblüffung eine famose Palette, die von Lightnin’ Hopkins, Bo Diddley und Chuck Berry über Dion (natürlich
das
Autofahrer-Stück
The Wanderer
),
Six Days On The Road
von Johnny Rivers,
On The Road Again
von Tom Rush, über
Roadhouse Blues
von den Doors und
Into The Mystic
von Van Morrison bis zu
Already Gone
von den Eagles und, ja, absolut super,
Carry On
von Crosby, Stills, Nash & Young. Alles Stücke, die wunderbar zu unserer Fahrt passten, die wir selbstverständlich laut hören mussten, mit einer filterlosen Lucky Strike zwischen den Fingern oder den Lippen, natürlich, was denn sonst?, mit einem silbernen, mit Jack Daniel’s gefüllten Flachmann im Handschuhfach. Ab und zu nuckelten wir an dem Flachmann, der sich angenehm in die Hand schmiegte. Eigentlich nippten wir nur. Wir wollten ja nicht betrunken werden; es ging einfach nur um die Symbolik. Fred trug trotz der Wolkenmassen über uns eine Sonnenbrille. Ray Ban. Seine Rockertolle war nicht richtig in Form und hing ihm flach wie ein Pfannkuchen in die Stirn. Kein Wunder. Er war ja heute nicht zum Haarewaschen, Föhnen, pedantischen Pomadisieren und Formen gekommen. Er sah dennoch gut aus, romantisch vernachlässigt. Und die Bartstoppeln verliehen dem weichen Gesicht zu Freds und meinem Erstaunen einen Hauch von Verwegenheit. Schwarze Lederjacke, weißes T-Shirt von Fruit Of The Loom, Bluejeans, hohe schwarzweiße Leinenturnschuhe. Perfekt gekleidet. Nach dem Tod seiner Mutter hatte Fred sich Zeit gelassen und zwei weitere Koffer vollgestopft. Ich hatte mir von den übrigen Klamotten einiges aussuchen dürfen und mich für einen Stapel Hawaii-Hemden entschieden, weil die getrost weit sein dürfen. Meine Reisetasche hatte ich gegen einen Koffer ausgetauscht. Kein Problem für den Kofferraum, in dem eine ganze Rock’n’Roll-Band Platz gehabt hätte.
    »Immer locker«, hatte Fred zu meiner Verwunderung gestammelt und dabei gezittert wie ein frierender Hund. So leicht kann man also ums Leben kommen, hatte ich erschüttert festgestellt. Unsere bleichen Gesichter schienen in zwei Sekunden gealtert zu sein, wir atmeten beide laut und schnell, unsere Herzen pochten einen wilden Takt. Dann hatten wir uns einen Ruck gegeben. Mit unbehaglichem Gefühl hatten wir die Küche verlassen und die Küchentür geschlossen – und schon war es uns merklich besser gegangen. Auf nüchternen Magen trifft einen der Anblick eines toten Geschöpfs, egal ob überfahrene Katze oder an gebrochenem Rückgrat verendete ältere Dame, besonders hart. Ich hatte es jedenfalls so empfunden, ich meine, nichts gegen Action – davon hatte ich ja im Knast über Jahre hinweg geträumt –, aber schon die ersten zwei Tage in der Freiheit waren mit Action so verdammt vollgepackt gewesen, dass ich mir wie in einem rasenden Karussell vorgekommen war. Ich hätte eine sparsamere Dosierung vorgezogen. Na ja, jedenfalls waren wir, beziehungsweise hauptsächlich Fred, dann sehr zielstrebig vorgegangen, hatten die reichlich vorhandenen Schmuckstücke eingesammelt, in einer der zahlreichen Schatullen noch ein Bündel Hunderter gefunden, ein paar Elvis-Devotionalien eingepackt. Mir hatte das Stöbern und Einsammeln trotz des flauen Gefühls im Magen irgendwie Spaß gemacht, obwohl meine Pläne arg durcheinander geraten waren.
    »Hast du tatsächlich ins Bett deiner Mutter gewichst?«
    »Und ob.« Es klang sowohl trotzig als auch stolz. »Ein Akt der Befreiung. Am liebsten hätte ich noch in ihr Bett geschissen.« Er setzte einen stahlharten Kämpferblick auf.
    »Aber, aber.« Ich schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Das wäre denn doch zu kindisch gewesen.«
    »Hab ich mir auch gedacht. Außerdem hätte ich mich dann vielleicht vor mir selbst geekelt.«
    »Gut möglich.«
    Wir schnipsten gemeinsam mit den Fingern zum Rhythmus von
Rockin’ Down The Highway
von den Doobie Brothers.
    »Ich bin nicht schwul«, sagte Fred so nebenbei, mit starrem Blick nach vorn, auf die Fahrbahn, deren Mittelstreifen am

Weitere Kostenlose Bücher