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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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er zudem noch mit Sperma besudelt habe. Dieser grauenvolle Gestank! Nun wisse sie, dass sie ihn nicht einmal einen Tag alleinlassen könne. In Zukunft werde er sie auch nach Offenbach fahren müssen und dort übernachten, obwohl ihre Schwester – seine Tante Hedi – ihn nicht ertragen könne. Sie drehte ihren Vogelkopf zu mir, der ich betreten auf der Türschwelle stand und davon ausging, gleich aus der Wohnung gestoßen oder getreten zu werden. Ihr Raubvogelblick versuchte mich zu stechen.
    »Sie wissen ja nun, dass mein Sohn homosexuell veranlagt ist. Vermutlich haben Sie sich mit ihm in meinem Bett vergnügt. Für einen Strichjungen sind Sie eigentlich schon zu alt. Früher hat er Strichjungen in sein Zimmer geschmuggelt und mit meinem Geld bezahlt. Wie viel haben Sie denn für Ihre Liebesdienste verlangt? Wegen der abstoßenden Wunden in Ihrem Gesicht gab’s doch bestimmt einen Nachlass.«
    Da Fred vermutlich selten in seinem Leben jemanden angebrüllt hatte, wirkte sein Ausbruch entsprechend dilettantisch, die Stimme brach ein paarmal, vibrierte stark, blieb jedoch laut, war bestens zu verstehen: »Du dumme Sau! Bist du jetzt total ausgeflippt? Ich hab mich neununddreißig Jahre von dir quälen und verbiegen lassen, neununddreißig verdammte Jahre! Damit ist jetzt endgültig Schluss!« Hass spritzte wie Eiter aus einem aufgestochenen Geschwür aus seinem Gesicht, entstellte es zu einer Fratze. Überraschung!
    Frau Fink, von plötzlichem Entsetzen überwältigt, wich zurück, wahrscheinlich zum ersten Mal, wurde sich dieses Anzeichens von Schwäche sofort bewusst, fing sich wieder, um im Gegenangriff eines ihrer, wie ich annahm, üblichen Züchtigungsinstrumente einzusetzen: »Damit, mein Lieber, mit dieser Unverschämtheit, hast du für lange Zeit jeden Anspruch auf Taschengeld verwirkt! Dann kannst du dein hässliches Ami-Auto schieben und in deinen Verbrecherkneipen deine Saufkumpane anschnorren!« Sie wandte sich, schon wieder ganz die Chefin, mir zu. »Sie verschwinden jetzt besser! Sie sehen ja, was Sie angerichtet haben!«
    Fred sprang auf, warf den Stuhl dabei um. »Hans, warte auf mich!« Stürzte in sein Zimmer, kam nach wenigen Minuten angezogen und mit einem Koffer in der Hand wieder, was der alten Dame ein höhnisches Lachen entlockte. »Wie weit wirst du wohl mit deinem benzinfressenden Blechschlitten kommen?«
    Fred presste sich ein böses Grinsen ab. »Ich war so frei, deine Geldschatulle mit dem Brieföffner aufzuknacken.« Er zitterte erregt, schien den Bruch mit seiner Mutter unbeirrbar anzustreben.
    »Du Vieh, du verkommenes!« Rasend vor Zorn und Verzweiflung stürzte sie sich auf ihn. Diesmal hielt er nicht die Hände schützend vors Gesicht. Er schien sich nicht nur oberflächlich verändert zu haben, sondern hatte sich ganz offensichtlich vorgenommen, nicht länger als Weichling, als Versager herumlaufen zu wollen. Seine vorschnellenden Handballen knallten gegen sie. Wuchtig, unerwartet. Sie wurde zurückgestoßen, prallte mit dem Rücken und einem gellenden Schmerzensschrei gegen die Ecke der Anrichte.
    »Oh Gott«, stießen Fred und ich zu gleicher Zeit entsetzt aus. Das sah gar nicht gut aus. Ich zählte im Stillen spontan die Zeit, die ich seit meiner Entlassung in Freiheit verbringen durfte und kam auf mickrige sechsundvierzig Stunden.

S CHEISS AUF H AMBURG
    Geiles Fahrgefühl. Nicht mehr als 140 km/h, immer noch schneller als auf amerikanischen Highways. Es war warm, der Himmel bedeckt, bald würden die Scheibenwischer mit leichtem Surren über die unglaublich breite Frontscheibe streichen.
Guitar Man
von Elvis lief gerade, und wir fühlten uns, im Einklang mit dem Text, wie Guitar Men, die von Stadt zu Stadt zogen, um in Clubs und Kneipen für Trinkgeld und Drinks zu spielen, konsequente, nirgendwo außer im Rock’n’Roll verwurzelte Burschen, die sich genau diese Lebensform ausgesucht hatten – wegen einer vagen, aber grenzenlosen Sehnsucht, wegen unseres romantischen Freiheitsdrangs, durch den wir alle Härten und Enttäuschungen, mit denen unser Leben gepflastert war, überstanden hatten –, nicht mehr so frisch wie noch vor fünfzehn Jahren, klar, der Lack ein wenig abgeblättert, keine Frage, aber alles noch erkennbar. Und für mich, den Typen mit der geilen Stimme, die angeblich an Del Shannon erinnerte, war die Vorstellung, auf einer Bühne zu stehen, gar nicht so abwegig. War natürlich schon abwegig, weil ich momentan kein Sänger war und vermutlich auch in den

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