Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Kaffeetrinken und so, ab und zu auf die Musik geachtet und dabei gemerkt, dass ich das alles nicht kenne. Obwohl ich Musik liebe. Ich kann auch verdammt gut singen. Meine Musik ist hauptsächlich türkischer Pop. Die Disco-Musik gefällt mir auch ganz gut … und, ja, und dann noch das Zeug von Elvis Presley, die langsamen Stücke, weißt du, mit viel Gefühl und so,
In The Ghetto
zum Beispiel, oder
It’s Now Or Never.«
Jetzt kam er schon wieder mit Elvis. Echt merkwürdig. Ich hatte kaum noch an den King gedacht, obwohl er zu den wichtigsten Personen meiner Kindheit gehört hatte. Dann gab er den Löffel ab, ich traf auf Fred Fink und seitdem überall auf das Thema Elvis. Kein Wunder, dass selbst mein Kater Elvis hieß.
Bülent lachte verlegen. »Ich bin eigentlich nur auf Elvis gekommen, weil mir mal jemand gesagt hat, dass ihn mein Lächeln an Elvis erinnert. Wegen Elvis hab ich mich, ob du’s glaubst oder nicht, in die englische Sprache reingekniet. Ich hab auch ’ne Menge Filme mit ihm gesehen und kann ihn ganz gut nachmachen. Vielleicht hab ich die Rock’n’Roll-Sachen einfach noch nicht drauf, weil ich nun mal nicht mit dieser westlichen Rock’n’Roll-Kultur aufgewachsen bin. Aber macht ja auch nichts.« Er strahlte mich aufgekratzt an. »Ich bin, obwohl Türke, enorm lernfähig.« Spöttisches Zwinkern. »Und außerdem glaube ich, das Gefühl dafür bereits in mir zu haben. Ich freu mich schon darauf, diese Rock’n’Roll-Welt kennenzulernen.«
Und zu meiner Freude erfuhr er jetzt, in einem gestohlenen Ford Granada, in dieser scheißkalten, aber klaren Winternacht und zudem auf der Flucht vor seinem Vater und dem türkischen Militär, dass es wundersame Musik gab, die möglicherweise eigens für nächtliche Fahrten auf der Autobahn, möglichst mit einem geklauten Wagen und einer stubenreinen Katze, erschaffen worden war und im Kontext der Begleitumstände, von den Komponisten und den Musikern genau so vorausgesehen, zum wesentlichen Teil eines Gesamtkunstwerks wurde. Das Leben, nicht nur auf der Autobahn, in einem schnellen Wagen, logisch, auch sonst, eigentlich überall und zu jeder Zeit, jedenfalls immer von Musik untermalt. Große Kunst. Doch was hieß das schon? Bülent war bisher von Kunst so weit entfernt wie Franz Josef Strauß von der Schwulenbewegung, aber in ihm blühten Gedanken und Emotionen und bohrende Neugier, die nach den Botschaften hinter den Tonfolgen forschte. Das ist doch Kunst, dachte ich, von meinen Gedanken beeindruckt: Von der gewählten Ausdrucksform wird die Aussage transportiert. Und wenn Form und Aussage im Kopf des Empfängers eine so intensive und erhellende Wirkung erzeugen, dann bewegt sich der so Berührte, vielleicht Erweckte, auf jeden Fall dafür Empfängliche in Richtung Kunstverständnis.
Zu dieser Musik und dem damit verbundenen Lebensgefühl gehörten natürlich Zigaretten. Und, meiner Meinung nach, auch Bourbon. Die angebrochene Flasche Jim Beam lag im Handschuhfach. Bülent sah das anders. Er hatte noch nie Alkohol getrunken, nicht einmal daran genippt. Er drehte sich einen Joint und zündete ihn an. So einer war das also! Ein Minuspunkt.
»Mir wird ganz schwindlig«, sagte ich ungehalten und wedelte demonstrativ den Rauch von mir weg. »Meine letzte Freundin hat das Zeug auch geraucht. Und was ist aus ihr geworden? Ein Zimmermädchen in einem miesen Hotel. Oder meine frühere Freundin Geli. Hat auch Haschisch geraucht. Und mir 60 000 Mark geklaut. Im Knast kannte ich einen, der hatte im Haschischrausch Geld von seinem Sparbuch abgehoben, und weil da nur noch 20 Mark draufgewesen waren, hatte er seine Kanone gezogen und die Bank beraubt. Wurde natürlich gleich gefasst, der Simpel, weil sein Name …«
»Alles klar, hab schon verstanden«, kicherte mein Beifahrer kindisch. »Musst mir nicht erklären, warum er gleich geschnappt wurde. Aber der baute den Scheiß ja nicht, weil er einen Joint geraucht hatte, sondern weil er von Haus aus beknackt war.«
Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm recht zu geben, was mich ein wenig wurmte, da ich eigentlich der Ansicht war, ich, mit drogenfreiem Kopf, müsse dem Bekifften von Haus aus mental überlegen sein. War aber nicht so wichtig.
»Hab ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich mal in einer Band gesungen habe?«, fragte ich nebenbei, um ein anderes Thema bemüht.
»Nein, hast du nicht. Find ich aber sehr interessant. Ich würde auch gern richtig singen – also auf ’ner Bühne, vor 200 Leuten,
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