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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Aussicht auf den Schlachthof, einsame Nächte mit der Musik auf den Doris-Tapes, zu viel Whiskey und zu viele Zigaretten, dann Berti, Leo und all die anderen Wichser, glücklicherweise die Freundschaft mit einem jungen Türken, der besser als jeder verdammte Elvis-Imitator, wenn nicht gar besser als der echte King singen könne. Ich lobte Bülent in den höchsten Tönen und fing sogleich an, mich dafür zu rechtfertigen, dass ich ihm die Hälfte des Geldes überlassen hatte. Sie unterbrach mich gleich, indem sie beide Hände hob, und für einen Moment konnte ich sehen, dass die Innenflächen dieser Hände rauh und rissig waren.
    »Das ist doch in Ordnung«, sagte sie, und ich hätte’s mir eigentlich denken können. »Wenn du meinst, dass Bülent und seine Familie das Geld verdient haben, wird es wohl so sein.«
    Endlich erfolgte die Streicheleinheit, wenn auch knapp bemessen. Ein Küsschen gab’s auch – auf die Stirn, aber immerhin.
    »Ich schlafe schlecht«, murmelte sie trübsinnig, »weil ich fast jede Nacht dieses Blutbad gestochen scharf vor mir sehe, die Schüsse höre, gebannt auf die Einschusslöcher glotze und so weiter. So hartgesotten wie ich einst dachte, bin ich nämlich bei weitem nicht.«
    Ich nickte verständnisvoll.
Do It Again
von Steely Dan pumpte einen cool treibenden Beat in den Raum, Rauchschwaden überall, die Heizkörper kochten, ich trank den Whiskey wie Wasser, lauschte mit einem Ohr dem Text – »In the morning you go gunnin’ – For the man who stole your water – And you fire till he is done in – But they catch you at the border …!« –, riskierte einen Blick auf die beiden Turteltauben, und was ich sah, erregte mich. Siegfrieds rechte Hand hatte inzwischen den Weg zu Lores Möse gefunden, und einer seiner Finger schien darin herumzustochern, Ekstase loderte in Lores Gesicht, ihre Finger wühlten ziellos in Siegfrieds pomadisierten Haaren. Und neben mir Doris, auf eine Antwort wartend. Wie hartgesotten bin denn ich? »Na, hör mal, ist doch klar, dass man so was nicht locker wegsteckt. Aber das waren Typen, die vor dem Leben anderer keine Achtung hatten, es war Notwehr. Und solche Erlebnisse verursachen nun mal die Narben, die man sich im Laufe eines Lebens einfängt. Und, mal ehrlich, es gibt Leute, denen viel schlimmere Sachen widerfahren sind, und die damit zurechtkommen mussten, denk an die Überlebenden der KZs …«
    Wild winkte Doris ab, verzerrte das Gesicht, als hätte sie Schmerzen. »Bloß nicht die KZ-Nummer, Mann, ich hab dir doch gesagt, dass ich schlecht schlafe.« Sie beruhigte sich wieder, sah mir tief in die Augen – es war offenbar modern, dem Gegenüber tief in die Augen zu sehen –, und ich fürchtete, sie könne bis in mein Hirn sehen, die darin herumflatternden Gedanken lesen, das ganze Chaos erblicken und womöglich entsetzt sein. Was wollte sie eigentlich?
    »Hans, es war falsch, die Maschinenpistolen zu verkaufen. Neun MPis, die vermutlich nicht in die Hände von Ästheten gelangt sind, die sie zu Hause in eine Vitrine legen, zwischen Fabergé-Eier und antike Uhren.«
    Sie hatte recht, das wusste ich natürlich, und solche Überlegungen waren mir keineswegs fremd. Ganz im Gegenteil. Ich hatte sie nur immer vorzeitig abgebrochen – wahrscheinlich, weil ich regelmäßig in Situationen gelangte, die mir keine Wahl ließen, als die Welt, das Dasein aus der Perspektive des Kriminellen zu sehen.
    »Das ist doch was anderes«, entgegnete ich lahm und nicht sehr überzeugend.
    Doris winkte ab. »Ist schon gut«, sagte sie müde. »Wir sind hier ja nicht in einer Gerichtsverhandlung. Ich bin ja genauso schuldig.«
    Na, Gott sei Dank, sie saß nicht mehr auf dem erhöhten Richterstuhl, wir waren auf gleicher Augenhöhe, tranken, rauchten, lächelten uns an, unsere Hände fanden wie selbstverständlich zueinander. Die Musikbox verstummte.
    Bevor Siegfried die Brüste seiner Gespielin völlig entblößte, sagte sie mit zittriger Stimme: »Ein Zimmer ist noch frei.«
    »Dann sollten wir es belegen«, keuchte der Sänger.
    »Zuerst muss ich aber noch abkassieren. Nützt ja nix.« Lore richtete sich auf, knöpfte die Bluse zu, strich den Rock glatt und wurde sachlich. »Von dir krieg ich fünfundzwanzig Mark für die Flasche Wodka, von euch beiden krieg ich je fünf Mark für den Whisky.«
    Anstandslos legte ich einen Zehner und ein Zwei-Mark-Stück auf den Tisch und sagte: »Stimmt so.«
    Rupf sah so verdattert aus, als wäre er gegen eine Glastür gelaufen.

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