Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Publikums gesehen. Ich bin von der Bühne gezerrt, geschlagen und aus dem Saal geworfen worden. Kann es was Schlimmeres geben? Wohl kaum. Der Abend wäre auch ohne das Zutun des Türken ein Desaster geworden. Das hatte mich nicht mal überrascht, ob du’s glaubst oder nicht. Mir war nämlich heute Nachmittag klargeworden, dass ich ein ganz anderer Typ bin – eher der Sammy-Davis-Junior-Typ, der ölige Crooner. Vielleicht sollte ich …«
»Du willst Sammy Davis Junior imitieren?« Fassungslos riss Doris die Augen auf. »Der Typ ist nicht nur schwarz, sondern auch schmal wie ein Handtuch, fast filigran und ziemlich gelenkig, seine Songs sind zum Kotzen schmalzig.« Sie lachte hysterisch. Dieses Lachen hatte ich nie zuvor von ihr gehört, ein beunruhigendes Lachen. Natürlich blieb mir nicht die Zeit, groß darüber nachzudenken, denn nun schnellte Siegfried Rupf vom Stuhl, seine vor Empörung bebende Stimme füllte das Zimmer, und was er von sich gab, war, wie von mir erhofft und erwartet, nichts, was Doris’ Bewunderung erregte. Man müsse nicht schwarz und schlank sein, um die Songs eines schlanken Schwarzen zu interpretieren, sagte er, dabei die Brust vorwölbend, und außerdem sei er ständig von stinkenden Provinzlern umgeben, die ihn seit Anbeginn an seiner Entfaltung gehindert hätten, die wahre Musik, das echte Feeling sei ohnehin nur in den dampfenden, stickigen Großstadt-Clubs zu Hause. Alles andere sei doch nur Dreck.
Ich war nicht ganz bei der Sache, weil ich mir überlegte, wie ich den Rest des Whiskeys für später retten könnte, ohne gleich als geizig oder Alkoholiker zu gelten.
Rupf sank schnaufend auf den Stuhl, stieß den Kater, der sich vertrauensvoll auf seinem Schoß niederlassen wollte, von sich und war damit endgültig für mich erledigt. Auch Doris – ich sah es ihr an und triumphierte klammheimlich – war dieser katzenfeindliche Ausfall nicht entgangen. Sie zeigte sich pikiert. Wir sahen uns an, der Kater und ich, wissend wie alte Kumpels, die sich wortlos verstehen.
Doris antwortete irgendwas auf das Gelaber, mit genervtem Tonfall; der Inhalt erreichte mich aber nicht, denn mit einem Mal schwebte und tanzte auf meiner Gedankenleinwand, einer Daunenfeder gleich, diese geniale Idee: Ortswechsel, nicht nur, aber auch der Lautstärke wegen. Also schlug ich vor, in der Gaststube des Hotels noch ein, zwei Drinks zu nehmen.
Während Doris im Bad das Gesicht des Verwundeten reinigte, warf ich einen kurzen Blick ins Nachbarzimmer – und, hallo, rieb mir Augen, Ohren und Nase. Juana und Bülent nackt, Juana auf Bülent reitend, beide keuchend und stöhnend, Juanas Po glänzte wie ein polierter Apfel, es roch nach Alkohol, Zigaretten- und Haschischrauch. Die beiden bemerkten mich nicht.
Hier fehlt Musik, dachte ich spontan, glotzte auf das schöne Gesäß, und prompt wuchs mein Schwanz. Meine linke Hand, in der Hosentasche verborgen, spielte mit ihm, vielleicht hechelte ich sogar, war plötzlich zum Voyeur geworden, schämte mich ein wenig und zog sanft die Tür ins Schloss.
Die Gaststube war natürlich verrammelt, hinter den Scheiben der Tür herrschte Dunkelheit. Doch die Frau an der Rezeption erwachte, hob den traumbeladenen, vom Alkohol beschwerten Kopf vom Tresen, benebelt. In ihrem Mienenspiel konnte man den Ablauf der Orientierungssuche genau verfolgen. Als sie im Hier und Jetzt angekommen war, zeigte sich Erleichterung auf ihrem Gesicht. Und dann das Leuchten in den Augen, als sie uns erkannte. Das Leuchten galt allerdings ganz allein dem gescheiterten Elvis-Imitator. »Ach, Herr Rupf! Ich bin ein Fan von Ihnen. Hab drei Ihrer Auftritte gesehen. In Goslar, Clausthal-Zellerfeld und Schladen. Ganz große Klasse! Wie Sie
Wooden Heart
singen – da hätte der echte Elvis aber blöd geguckt. Vor allem die deutschen Strophen singen Sie ja bedeutend deutscher, nicht wahr?« Sie kicherte, aufgeregt wie eine Vierzehnjährige, war offenbar und zu meiner Verwunderung von Rupfs Persönlichkeit derart geblendet, dass ihr sein ramponiertes Äußeres gar nicht aufzufallen schien.
Der eben noch Geknickte, am Boden Zerstörte wurde zuerst ganz weich – ich befürchtete schon, er werde vor unseren Augen zerfließen –, und dann reckte sich sein Körper, der Kopf stieß kühn nach vorn, mit einem Ausdruck von Genugtuung und Rührung. Er bedankte sich wortreich – nach meiner Ansicht zu schleimig – für das Lob, konnte seine Rede jedoch nicht beenden, denn Doris schnitt ihm ungeduldig das Wort
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