Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
ich befürchtete, mir mit den Elvis-Songs keinen Gefallen getan zu haben. Zur Zeit war ich auf alles, was mit Elvis zu tun hatte, nicht gut zu sprechen und überlegte schon, ob ich den Kater umtaufen sollte, zum Beispiel in Chuck oder Eddie.
Mit dem Schmachtfetzen
Lyin’ Eyes
in den Ohren setzte ich mich wieder an den Tisch und widmete mich Doris, die sich von der Unterhaltung abgekoppelt hatte beziehungsweise ausgeschlossen worden war, weil Siegfried und Lore sich tief in die Augen sahen, um darin die Glut der Liebe, die Wahrhaftigkeit oder einfach nur einen Hinweis auf sexuelle Sonderwünsche zu suchen, wobei ihre Hände auf der Tischplatte wie zwei große Spinnen aufeinander zu krabbelten, sich schließlich trafen und miteinander fingerten.
Ich neigte den Kopf zu Doris, sie sah mich erwartungsvoll an, weil ich womöglich den Eindruck erweckte, irgendwas von Bedeutung sagen zu wollen. »Juana vögelt mit Bülent«, sagte ich und ärgerte mich über den Ton in meiner Stimme, der ungewollt vorwurfsvoll klang. »Und sie haben Haschisch geraucht.« Oh Gott, dachte ich, musst du das auch noch erwähnen, und wieder im Ton eines gottverdammten Herbergsvaters.
Demgemäß formte Doris ihr Grinsen. »Na und? Was stört dich daran?«
»Nichts, um Gottes willen, gar nichts. Es ist nur so verwirrend. Ein verwirrender Abend. Findest du nicht?«
»Ich hab mit dir schon verwirrendere Abende erlebt.« Mildes Lächeln, vertraulicher Augenausdruck, in dem ich die Quintessenz unserer gemeinsam erlebten verwirrenden Abende zu sehen glaubte, dann, mit erwachtem Spezialinteresse: »So, so, dieser Bülent hat Shit? Sehr erfreulich. Hoffentlich einen fetten Brocken. In Bad Harzburg gibt’s nämlich nichts.«
Mir war nach einem ganz anderen Thema zumute. Obwohl ich sehr leise war, spuckte ich’s quasi aus: »Ich hab reichlich Kohle, Doris, einen Haufen Dollars. Der Dollar steht momentan nicht besonders günstig, knapp über zwei Mark, aber scheißegal, das sind, mit dem Rest aus der Friedberger Zeit, fast hundert Riesen, in D-Mark.« Befreit und zugleich mich befreiend strömte die Botschaft aus mir heraus. »Ich möchte, dass du deinen Scheiß-Job hinschmeißt und mit mir kommst. Wir können uns damit eine Existenz aufbauen. Was du willst. Die Wahl überlasse ich dir. Perfektes Domina-Studio, eine Kneipe, ein Ton-Studio, ein Plattenladen. Unsere Träume von damals, Doris – jetzt können sie tatsächlich umgesetzt werden.«
In ihren Augen flackerte ein rätselhaftes Licht, ein Ausdruck des Erstaunens erschien auf ihrem Gesicht, wurde umgehend von dem der Verärgerung abgelöst, der wiederum in Sekundenschnelle dem Ausdruck – ja, man könnte sagen – mütterlich-bekümmerter Zuneigung wich. Sie senkte die Stimme, obwohl Siegfried und Lore, die gerade anfingen, ihre Zungen miteinander spielen zu lassen und dabei tierisch schnauften, vermutlich außerhalb ihres alkoholgetränkten, sexuell aufgeladenen, eng begrenzten Spielfelds nichts mehr mitbekamen. »Heißt das, deine ehemalige Freundin – wie heißt sie noch gleich? Ach ja, Geli, stimmt’s? – hat dir das Geld doch wiedergegeben?«
»Nein, leider nicht!« Wahrscheinlich sah ich sie jetzt mit einem Hundeblick an, in dem außer einer Prise Unterwürfigkeit vor allem eine Mischung aus Spieltrieb, Schläue und Verträumtheit lag. »Ich musste mir die Kohle woanders besorgen. Keine Sorge, ich hab keine Bank überfallen, Ehrenwort! Ich hab ein richtig mieses Arschloch gelinkt.« Wieder der Hundeblick, vermutlich, ich sah mich ja nicht, ging aber davon aus, dass mein Blick den kindlichen Wunsch nach Belohnung und möglichst auch nach Bewunderung wiedergab, ja ich lechzte nach Streicheleinheiten, war natürlich nicht scharf auf einen Knochen oder Naschwerk in Form von Hundekuchen, aber ein Kuss, nicht ganz so nass wie das Geschlabber neben uns, hätte mir gefallen.
Nichts dergleichen. Vielmehr ein strenger, fast schon sezierender Blick, vertiefte Sorgenfalten im schönen Doris-Gesicht. »Wer ist
diesmal
hinter dir her?«
»Wieso? Niemand. Das heißt, in Hamburg suchen vermutlich, wäre zumindest vorstellbar, ein paar Wichser nach mir. Es gibt für sie aber keine Verbindung zu Bad Harzburg.«
Sie nahm die Sache sehr ernst. Abermals senkte sie die Stimme. »Nun erzähl mir mal genau, was du in den letzten Wochen in Hamburg getrieben hast.«
Ich fasste mich kurz, blieb erstaunlich sachlich, und dennoch kapierte Doris sehr bald, dass vom Blues die Rede war: Mansardenzimmer mit
Weitere Kostenlose Bücher