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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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James Dean in
Denn sie wissen nicht, was sie tun
verkörperte. Ist übrigens eine blöde Übersetzung. Den Originaltitel,
Rebel Without A Cause
, find ich jedenfalls besser.«
    Doris nickte zustimmend. Ich wusste zwar nicht, ob sie jetzt nur den Filmtitel betreffend zustimmte, oder ob sie alles, was ich zuvor gesagt hatte, richtig fand, aber alles in allem ging ich davon aus, dass wir ähnlich tickten.
    »Früher«, sagte sie nachdenklich, »hat es mir nichts ausgemacht, wenig Geld zu haben. Ich bin nicht im Geringsten neidisch auf den ganzen Konsumscheiß gewesen, den sich die anderen meines Alters angeschafft haben im Glauben, man müsse sich mit dem Plunder eindecken, um zum Kreis der Glücklichen gehören zu dürfen. Alles auf Raten. Ich kann mir vorstellen, dass sie immer noch Raten abzahlen, dass viele von ihnen lebenslänglich Raten abdrücken. Dabei ist dieses perfide System doch leicht durchschaubar. Es ist die Gier, die klare Überlegungen einfach zur Seite schiebt, es ist die Vorstellung, schon morgen den modernsten Fernseher, den Schnellkochtopf, die Schrankwand im Haus zu haben, obwohl ich mir den Scheiß gar nicht leisten kann.« Doris lächelte etwas verlegen, und wir wussten ja beide, dass diese Ansicht schon vor 1968 zumindest in kritischen Kreisen zum Bewusstseinsstandard gehört hatte. Folglich verließ sie das Thema flugs, obwohl es ihr meiner Meinung nach keineswegs peinlich sein musste, war es doch tatsächlich aktueller denn je. Die 68er hatten viel erreicht, den Kampf gegen Konsumismus und Raubtierkapitalismus jedoch verloren. »Aber ich wollte eigentlich was anderes sagen.« Das Lächeln verrutschte ein wenig. »In letzter Zeit fühle ich mich in diesen lieblos eingerichteten, auf reine Zweckmäßigkeit reduzierten Personalzimmern der Hotels und Raststätten, in die es mich verschlägt, verdammt unwohl. Mein ganzer Besitz passt in zwei Koffer, wobei der eine für meine Platten, Kassetten und die Stereo-Anlage reserviert ist. Zwei
große
Koffer. Das schon. Aber gemessen an meinem Alter eher der Beweis meines, um ehrlich zu sein, Versagens.« Fahrig zündete sie sich eine weitere Zigarette an. »Früher, weißt du?, war ich stolz darauf, so beweglich zu sein, so wenig Gepäck durchs Leben tragen zu müssen.« Sie schaute mich mit hochgezogenen Brauen an, fragend vielleicht, jedenfalls interessiert an meinem Gesichtsausdruck und an dem, was der verriet. Sich seufzend einen Ruck gebend, so als sei der nächste Satz eine hohe Hürde, konkreter gesagt, ein Bekenntnis, das ihr Innerstes freilegen würde. »Ich geh ja jetzt stramm auf die vierzig zu. Wenn ich ehrlich bin, muss ich bekennen, dass ich mich nach einer richtigen Wohnung sehne, nach materieller Sicherheit, nach einem Ort, den ich als Zuhause betrachten kann. So was wie ’ne Familie suche ich. Nicht dieses fatalistische Aneinanderkleben, wie es in meinem Elternhaus der Fall war, sondern eine Wohngemeinschaft mit Leuten, die sich und mich akzeptieren.« Sie winkte ab. »Ich weiß nicht, ob du das verstehst.«
    Lautlos lachend warf ich den Kopf nach hinten. Ich fühlte mich unbeschreiblich erleichtert, da ich kurz zuvor überlegt hatte, wie ich ihr exakt solche Empfindungen mitteilen könnte, ohne von ihr gleich als Spießer mit der Tendenz zum allabendlichen Saufen und Mampfen vorm Fernseher angesehen zu werden, und erklärte ihr, der Erstaunten, auch gleich meine Reaktion: »Wenn du wüsstest … Als ich neulich Freds Wohnung – du erinnerst dich? Fred? Der Elvis-Fan, von dem ich dir …? – betrat, in der alles so aufgeräumt war, in der jeder der unzähligen Gegenstände mit einer Selbstverständlichkeit benutzt oder nur mit einem Blick gestreift wurde, als gehöre er fraglos und über jede Diskussion erhaben in eine solche Wohnung, da blitzte es in meinem Hirn. Kein Kurzschluss, sondern die Erkenntnis, dass ich mich seit Ewigkeiten nach einer Bleibe sehne, unter deren Türklingel mein Name steht.« Grinsend und schulterzuckend schob ich hinterher: »Ob es in Freds Wohnung immer noch so proper aussieht, wage ich allerdings zu bezweifeln.«
    Sie grinste mit. Weil sie das witzig fand? Oder weil sie einfach froh war, dass ich das zunehmend ins Sentimentale abrutschende, Emotionen aufwirbelnde Thema mit einem unbeholfenen, aber immerhin geschickt platzierten Scherz zum Abschluss gebracht hatte?
    Abermals intensives In-die-Augen-Glotzen. Wir waren nun unverkennbar mehr als nur Kollegen. Wir waren Freunde.
    Später drang wieder Musik durch

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