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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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einzigen anwesenden Mann mit längeren Haaren, entdeckt und winkte mich zu sich. »Was ist Ihre Rolle in dieser Sache? Sind Sie etwa ein Provokateur?«
    Die Frechheit ignorierend und mich im Stillen ob meiner Sachlichkeit bewundernd sagte ich nur: »Ich bin der Koch.« Obwohl ich trotz meiner Sympathie – früher für die APO, die Hippies, Fritz Teufel, zur Zeit für die Alternativen, die Kernkraftgegner, die Feministinnen, die Schwulenbewegung – für bestimmte politische Bewegungen eher unpolitisch war, mehr so der Zaungast, loderte plötzlich so was wie Stolz in mir auf, der Stolz, zu einer Randgruppe zu gehören, schon optisch sofort identifizierbar, ein wunderbar klares Feindbild.
    »Der Koch?« Arschloch Wehner schickte flink einen Frageblick zu Schmehles. Die nickten betreten. Sie hatten die mittlerweile selbst in Bad Nauheim überwiegend akzeptierte Langhaarfrisur, wie sie ihr Koch trug, mit einem gewissen Ekel ertragen, aber nicht als staatsgefährdend eingeschätzt. »Jeder Bundesliga-Spieler trug längere Haare als Herr Lubkowitz. Breitner zum Beispiel, Beckenbauer, Netzer.« Schmehles wurden jetzt überaus misstrauisch. Vielleicht argwöhnten sie, dieser übereifrige Polizist wolle ihnen eine Verbindung zur RAF andichten. Es herrschte ja in dieser Hinsicht eine Hysterie im Land, die völlig übertrieben war, die nicht nur von den Terroristen, sondern vor allem von den Boulevard-Gazetten am Köcheln gehalten wurde.
    »Herr Lubkowitz arbeitet erst seit ein paar Tagen bei uns«, rechtfertigte sich der Chef. »Wir wissen deshalb nicht viel über ihn, aber auf keinen Fall steckt er mit denen da …«, seine Hand vollführte eine Halbkreisbewegung, »… mit diesen Anarchisten unter einer Decke.«
    »Er legt sich immer zwei Scheiben Wurst auf eine Brötchenhälfte«, mischte sich seine Frau ein, »und gehört daher wohl eher zu den Egoisten als zu den Kommunisten.« Zum Erstaunen aller wurde sie von einem Lachanfall heimgesucht und durchgeschüttelt, was ihrem Mann so peinlich war, dass er ihr einen Ellbogen in die Rippen stieß.
    Frau Schmehle quietschte erschrocken und vor Schmerz, keuchte, nach Luft ringend, ballte eine Faust, die sie ihrem Gatten in die Magengrube stieß.
    Das kam bei den Gästen prima an. Sie klatschten Beifall, Herr Momberger rief fröhlich: »Sie haben doch die Flinte, Herr Schmehle! Wehren Sie sich! Schießen Sie oder schlagen Sie ihr den Kolben über die Rübe!«
    Aufbrandendes Gelächter. Der Polizist Wehner donnerte dazwischen: »Das ist eine Aufforderung zu einer Straftat!«
    Noch lauteres Gelächter. Der Chef, mit schmerzverzerrtem Gesicht, ließ sich röchelnd auf einem Stuhl nieder. Herr Kleber aus Fulda hatte sein Akkordeon geholt, spielte darauf und sang dazu: »Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus – und du mein Schatz bleibst hier …!«
    Einige Paare bewegten tanzend ihre gichtigen Glieder, einige sangen mit, der stets von einer Schnapsfahne begleitete Herr Schimmelfleck stellte den unter seinem Bett gebunkerten Weinbrandvorrat zur Verfügung – und schon kam Partystimmung auf. Man sah es den Bullen an, dass sie sich gern beteiligt hätten – aber Dienst ist Dienst. Großmütig von irgendwelchen Anzeigen absehend, verabschiedeten sie sich – natürlich alle noch einmal ermahnend, wenn auch augenzwinkernd.
    Das Ehepaar Schmehle verzog sich in die Küche, um sich dort gegenseitig mit Vorwürfen zu bombardieren.
    »Besuchst du mich nachher in meinem Zimmer?«, fragte Doris scheinbar beiläufig, während sie aufräumte und dabei kurz in meine Nähe kam.
    Sie hatte die Deckenlampe gelöscht und einige Kerzen angezündet – und siehe da, schon dank dieses einfachen Beleuchtungstricks wirkte das Zimmer erträglich. Doch das war noch nicht alles. Der Eindruck von Bewohnbarkeit wurde durch den Blumenstrauß in einem Aluminium-Sektkübel und zwei Poster an den Wänden wunderbar verstärkt.
Hotel Room
von Edward Hopper: Ein Bett, ein Sessel, Gepäckstücke, eine spärlich gekleidete Frau sitzt auf dem Bett, lesend, vermutlich einen Brief, eingehüllt in Einsamkeit.
Der Schrei
von Edvard Munch hing daneben – und beide Bilder ließen ahnen, dass Einsamkeit Doris’ Grundstimmung war. Ich kannte keinen der beiden Maler, verstand aber sofort die Aussagen der Bilder, ja, gemalter Blues, fiel mir dabei ein, so intensiv, so suggestiv; für einen Moment fühlte ich mich nicht nur von ihnen an-, sondern in sie hineingezogen und beschloss spontan, mich demnächst näher mit

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