Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
die Wand. Lockend? Das sowieso. Aber von Doris bewusst als Lockmittel eingesetzt? Die Frage ließ sich nicht beantworten, da ich keiner von den Männern war, die sich in einem solchen Fall sofort den Schwanz gewaschen hätten und eroberungsbereit im Nachbarzimmer aufgekreuzt wären, um die Frage zu klären.
Carey
von Joni Mitchell, wehmütig, wenn nicht gar beschwörend – die Hippie-Zeit, als alles zu schweben schien, als die Zukunft schon aufgrund der rasanten gesellschaftlichen Veränderungen in hellem Licht lag, zwar vage, unscharf, aber alles andere als beängstigend.
»Come on down to the Mermaid Café
And I will buy you a bottle of wine
And we’ll laugh and toast to nothing
And smash our empty glasses down …!«
An meinem ersten freien Tag, einem Sonntag, besuchte ich Fred. Später Nachmittag – und der Rock’n’Roller sah aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gekrochen. Die Wohnung. Wie kann man denn eine Wohnung so schnell total verkommen lassen?, fragte ich mich beunruhigt, sieht ja aus, als hätten die Top Ten des Friedberger Abschaums die Erlaubnis gehabt, hier eine Woche lang ihre destruktiven Phantasien künstlerisch umzusetzen. So die Wiener Schule. Otto Mühl und Genossen wären begeistert oder gar neidisch gewesen.
Wortkarg kochte Fred Kaffee. Ich sagte ihm, grimmig knurrend, es sei eine erstaunliche Leistung von ihm, und es habe ihn sicherlich große Mühe gekostet, innerhalb einer Woche um einige Jahre zu altern.
Dazu schwieg er verkniffen, streifte mich nur mit einem Blick, der die gute alte, immer wieder gern genommene Fick-dich-ins-Knie-Botschaft vermitteln sollte, aber in Wahrheit Beschämung zeigte. Aus seinen Poren und dem Mund quoll Schnapsgeruch, alter Schweiß lag auf seinen Klamotten wie eine Patina. Trübe, rotgeäderte Augen. Ein Blues-Song von Elvis:
I Feel So Bad
– wie eine dramaturgisch geschickte Untermalung. Kalter Rauch hing träge und erdrückend in den ungelüfteten Räumen, hatte sich längst mit dem Gestank von verbranntem Fett, verfaulenden Essensresten und abgestandenem Bier vermischt, und damit hatte sich sozusagen von selbst ein abstoßender Gestank-Cocktail kreiert, der dem Gesamtbild die entsprechende Geruchsnote verlieh. Stapel von dreckigen Töpfen, Pfannen und Geschirr, Unmengen herumliegender Flaschen, die Teppiche, Sessel und Tischplatten besudelt mit Rotwein, Bourbon, Ketchup, zerbrochene Gläser und Teller, schiefhängende Bilder, deren Glasscheiben zersprungen waren, auf dem Fußboden wahllos verstreute Bücher, Fotografien und antike Damenunterwäsche. Alles passte perfekt zum Blues, keine Frage, wirkte aber so dermaßen
low down
, dass es mich schüttelte. Sah nach einem traurigen Nachmittag aus.
»Vor einigen Tagen war die Beerdigung«, murmelte Fred, während er in die Kaffeetasse stierte und an seiner Lucky zog. »Meine ganze Verwandtschaft und die Freundinnen meiner Mutter wollten mich auf dem Friedhof verprügeln. Stell dir das mal vor. Die Sau aus Bad Homburg hatte jeden angerufen und darüber aufgeklärt, dass ich ein Homo sei und aus der Wohnung ein Homo-Bordell machen wolle. Ich zog die Pistole. In Notwehr. Jetzt hab ich ’ne Anklage wegen illegalen Waffenbesitzes am Hals. Die Bullen fragten mich, ob ich mit der Knarre schon mal ’ne Straftat verübt hätte.« Nun grinste er trotzig und triumphierend. »Auf dem Sparbuch meiner Mutter sind 10 000 Mark. Außerdem gibt es noch Wertpapiere. Ich weiß noch nicht, wie viel das ist, aber es scheint sich um eine sechsstellige Summe zu handeln. Sieht so aus, als wäre das Thema Bankraub damit abgehakt.«
»Und was ist hier los?« Mit hilfloser Geste deutete ich auf das Chaos.
Fred winkte müde ab. »Ich hab ein paarmal nach Kneipenschluss den Rest der Gäste mitgenommen und mit ihnen hier weitergesoffen, weil ich verdammt noch mal nicht allein sein wollte.«
»Die hatten wohl ziemlich beschissene Manieren, würde ich sagen.«
»Das sind ja auch Alkoholiker.« Der aufgedunsene Mann löste seinen Blick von der Kaffeetasse, um mich tadelnd anzusehen. »Ist auch zum Teil deine Schuld, Buddy. Du hättest dir denken können, dass du mich nicht einfach alleinlassen kannst – einen unselbständigen Mann, dem die Mutter genommen wurde.«
»Du solltest dir einen Freund suchen.«
Mit wegwerfender Handbewegung antwortete er: »Kannst du vergessen. Ich war zweimal in Frankfurter Schwulen-Bars. Da geht’s nur um schnellen Sex. War nicht schlecht, aber ziemlich unpersönlich.« Und dann, mit
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