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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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berührten sich jedoch nicht.
    »Ich bin erst vor zwei Wochen aus dem Knast gekommen. Hab mich noch gar nicht richtig eingelebt. Alles ist irgendwie schneller geworden. Es kommt mir so vor, als hätten sich auch die Menschen in diesen sieben Jahren verändert, als hätten sie vor der Macht des Kapitalismus kapituliert, seien endgültig zu nur noch oberflächlichen und hirnlosen Konsumenten geworden. Keine Spur von Reflexion: Nachdenken könnte ja Probleme bereiten. Anfangs war ich richtig geblendet von den vielen neuen Dingen. Und dann der Straßenverkehr. Vor sieben Jahren konnte man doch noch überall einen Parkplatz finden, wenn ich das richtig im Kopf hab. Ich hatte ja den S PIEGEL abonniert, war also ganz gut informiert, aber es ist schon was anderes, in Freiheit mit all dem konfrontiert zu werden. Merkwürdig auch diese Ungereimtheiten: einerseits ein ausuferndes Warenangebot, andererseits die ansteigende Zahl der Arbeitslosen. Wer soll denn das ganze Zeug kaufen? Aber klar: Ratenzahlung, dann die Schuldenfalle.«
    Sie lächelte – mit mildem Spott? –, zwinkerte mir zu und raunte: »Da bietet sich ein Bankraub als Lösung doch geradezu an.«
    Ehe ich noch groß zum Nachdenken kam, brach es aus mir hervor: »Ich hab vor ein paar Tagen eine Bank überfallen.« Scheiße, dachte ich, das war ein Fehler.
    Zwischen ihren Augenbrauen entstand eine Falte, sie nippte an ihrem Wein. »Etwa das Ding in Reichelsheim? Der 600-Mark-Coup?«
    Was blieb mir anderes übrig, als zerknirscht zu nicken.
    Sie kicherte. »Du bist vielleicht ’ne Nummer. Zu der Zeit musst du doch noch den Knastgeruch an dir gehabt haben. Auf jeden Fall weißt du jetzt hoffentlich, dass du auf andere Weise zu Geld kommen musst.«
    »Du bist nicht enttäuscht?«
    »Enttäuscht? Höchstens wegen der mickrigen Beute. Aber es ist oder war ja dein Geld. Gegen Banküberfälle hab ich grundsätzlich keine Einwände, sofern sie unblutig ablaufen, was man allerdings nie genau voraussehen kann. Die
Bonnie and Clyde
-Nummer find ich echt scheiße. Falls wir beide Freunde werden sollten …«, sie hob die Augenbrauen, während ihr Blick in meinen Augen etwas zu suchen schien, »… würde ich es jedenfalls vorziehen, dass du dich nicht noch mal in dieser Branche, die dir offensichtlich nicht liegt, betätigst.«
    Nun berührten sich unsere Hände, zuckten jedoch sogleich zurück, als hätten sie sich zu weit vorgewagt.
    Doch unsere Blicke trafen sich und verharrten lange so, wie sich’s gehört nach dem vierten Glas Wein beziehungsweise dem fünften Halben. Sollte Herr Schmehle doch Recht gehabt haben? Das Bier war ja nur der Anfang.
    Den kurzen Weg nach Hause – oder besser: zu unserem Zuhause-Ersatz – legten wir schweigend zurück, schlendernd, ganz langsam, als fürchteten wir uns vor unseren tristen Zimmern. Im Flur, der unsere Zimmer und das Gemeinschaftsbad von der Küche und dem Lagerraum trennte, im graubraunen Flur also, presste sich Doris plötzlich an mich. Wir umarmten uns, immer noch wortlos. Sie war tatsächlich sehr klein. Ich konnte auf ihren Scheitel sehen. Mann, war ich plötzlich geil – mit den entsprechenden Bildern im Kopf. Ich stellte mir vor, wie sie nackt auf mir saß, ihr Becken bewegte sich, mein Schwanz steckte bis zur Wurzel in ihr …
    Doch sie wehrte mich ab. Nicht etwa unwirsch – eher sanft, aber bestimmt, fast entschuldigend, aber entschlossen.
    »So schnell geht das bei mir nicht. Ich hab noch ein gebrochenes Herz von der letzten Beziehung.«
    Kurz darauf hörte ich die Musik, die wie eine Botschaft durch die Wand in mein Zimmer floss. Schöner Blues:
Have You Ever Loved A Woman
von Eric Clapton, die Live-Version, Gitarrensoli zum Dahinschmelzen. Aber warum so was Trauriges? Und vor allem: Was machte sie in diesem Moment? Blätterte sie in einer belanglosen Zeitschrift? Putzte sie sich die Zähne und gurgelte? Dachte sie über den heutigen Abend nach?
    Wie vermutet, wurde auch der folgende Arbeitstag souverän von Misstrauen, Hass und Beleidigungen beherrscht. Vorrevolutionäre Stimmung kam auf, als der Verdacht, Herr Schmehle habe den geschmorten Schweinebauch absichtlich versalzen, die Runde machte.
    »Jetzt passen Sie mal gut auf, Herr Schmehle«, drohte Karlheinz Momberger, ein röchelnder Kettenraucher aus Darmstadt, der offenbar zum Sprecher ernannt worden war. »Wenn es noch einmal Schweinebauch gibt, werden wir Guerilla-Methoden anwenden. Obwohl ich den Kommunismus ablehne, habe ich mich in

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