Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
nach Süden fahre.«
Leider nur beschissene Musik im Radio. Aber halt! Verstörende Nachricht: Der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer von Terroristen entführt, drei Sicherheitsbeamte und der Fahrer von Schleyers Wagen erschossen. In dem Bekennerschreiben der RAF wurde der Austausch der Geisel gegen elf inhaftierte RAF-Mitglieder, unter ihnen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, angeboten. Jeder solle 100 000 Mark erhalten und ausgeflogen werden.
»Verdammt!« Aufgebracht schlug ich auf’s Lenkrad. »Diese Wichser glauben doch allen Ernstes, es gebe eine Legitimation für ihren Wahnsinn! Du wirst sehen, jetzt werden wieder überall Fahrzeug- und Personenkontrollen stattfinden. Millionen Augenpaare und Nasen glotzen und schnüffeln in jeder Kneipe, in jedem Kaufhaus, an jeder Tankstelle herum. Nicht nur Bullen, von wegen – alle sogenannten anständigen Bürger werden ihre detektivischen Fähigkeiten unter Beweis stellen wollen. Kennt man ja aus der Nazi-Zeit und aus der DDR!«
»Was regst du dich so auf?« Doris wunderte sich. »Ich kann Schleyer nicht leiden, uns können sie nichts anhaben …«
»Wir fahren in einem gestohlenen Auto.«
Sie winkte gelassen ab. »Herr Schmehle würde sich in nächster Zeit nur dann um sein Auto sorgen, wenn es auf einem kostenpflichtigen Parkplatz gestanden hätte. Aber es befand sich an einer Stelle, wo es stehen könnte, bis der TÜV abgelaufen ist.«
Ich verzog zerquält das Gesicht. »Mein Problem ist, dass ich vor Uniformen und Bullenmarken leicht einknicke. Hat was mit meiner kriminellen Vergangenheit zu tun. So kleine Ganoven wie ich fürchten die Bullen. Wir fürchten die zum forschen Auftreten legitimierten Männer. Und manchmal, aber leider nicht immer, erkennen wir schon auf hundert Meter, wer eine Bullenmarke in der Tasche hat und eine Kanone mit sich rumträgt.«
»Hauptsache, du pinkelst dir bei einer Kontrolle nicht in die Hose«, entgegnete sie so gleichmütig, dass es mich ein wenig irritierte. Kurzer Seitenblick. War da nicht ein überhebliches Lächeln? Aber ihre Hand strich über mein Haar, sanft, beruhigend. Alles halb so schlimm, sollte das wohl heißen.
Über das Wetter gab es nichts zu meckern. Nicht der perfekte Spätsommertag, aber warm, der Himmel, anfangs stark bewölkt, zeigte zunehmend blaue Fenster, durch die hin und wieder die Sonne auf uns blickte.
Alpenpanorama. Eingebettet zwischen Bergen die glitzernde Fläche des Tegernsees. Ansichtskartenmotive, wohin ich auch blickte.
Das Hotel befand sich allerdings außerhalb von Rottach-Egern, sechs Kilometer vom See entfernt, im Südosten. Wir fuhren durch dichten Wald, in dessen Strukturen der Mensch, wie es schien, noch nicht regulierend eingegriffen hatte. Einige Meter unter uns begleitete ein wild schäumender Fluss, die Rottach, die Straße. Wildromantisches Bild, und es hätte mich nicht überrascht, wenn plötzlich ein Hirsch aufgetaucht wäre.
Vor dem Hotel
Großbauer
hatte man dieser Bilderbuch-Landschaft brutal eine hässliche Wunde in Form eines riesigen Parkplatzes zugefügt. Das Hotel, ein Neubau, der zwar oberflächlich der hiesigen traditionellen Architektur entsprach, mit weit überhängendem Dach, rundum verlaufenden Holzbalkons und Lüftl-Malerei, wirkte schon durch seine Größe unpassend. Ein klobiger Kasten mit 60 Zimmern und wenig Komfort. Wohlhabende Urlauber stiegen hier garantiert nicht ab. Im rechten Winkel dazu, ebenfalls an den Parkplatz grenzend, stand ein kleineres Gebäude, schmucklos, ohne Balkons. Das Personalhaus.
Die junge Frau von der Rezeption führte uns flott in den ersten Stock des Personalgebäudes und schloss die Tür zu unserem Zimmer auf. »So, da wären wir«, sagte sie, unverbindlich lächelnd. »Sie können sich erst mal frischmachen. Dann stelle ich Sie dem Personalchef vor.«
Sie war nett, doch sie schaute gelangweilt durch uns hindurch – hatte vermutlich schon zu viele Mitarbeiter kommen und gehen sehen.
»Unser Zuhause!« Doris strahlte mich an, und dieses Strahlen brachte gleich Farbe in das einfache Zimmer. Ein Doppelbett. Der Blick aus dem Fenster war auch nicht zu verachten: Berge, Wald, und wenn man sich aus dem Fenster lehnte, sah man das klare, kühle Wasser der Rottach – die jedoch für meinen Geschmack ein wenig zu laut dem Tegernsee entgegensprudelte. Ob ich mich an dieses rauschende, gurgelnde Tosen hinter unserem Zuhause gewöhnen würde, bezweifelte ich erst mal. Nichts gegen Natur, keineswegs – aber
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