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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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gleich so viel und so laut?
    Der Aufenthaltsraum im Erdgeschoss war kein Ort für Träumer. Er glich eher der Wartehalle eines Provinz-Bahnhofs Anfang der 60er Jahre. Ein paar von der Brauerei zur Verfügung gestellte Tische und Stühle, ein nüchterner Tresen, dahinter ein Regal mit Gläsern, Tassen und Tellern, an einer Wand ein Fernseher, an der Wand gegenüber Automaten mit heißen und kalten Getränken, ein Zigaretten-Automat, ein Daddelkasten, ein Kondom-Automat, ein Flipper.
    »Wieso Kondom-Automat?«, murmelte Doris. »Hier ist doch alles katholisch.«
    »Warum keine Musikbox?«, murmelte ich.
    »Der Süßigkeiten-Automat fehlt«, kicherte Doris.
    »Peep-Show gibt’s auch nicht«, kicherte ich. Dabei hatte ich bisher noch keine Peep-Show besucht. Vor meiner Knastzeit hatte es so was ja nicht gegeben, das war ja, so weit ich wusste, erst dieses Jahr aufgekommen.
    Zwei Frauen saßen an einem Tisch, tranken Kaffee, rauchten und tratschten. Ein betrunkener junger Mann kämpfte mit dem rasselnden, klingelnden, klackenden Flipper. Wir stellten uns artig vor und erfuhren daraufhin, dass die beiden Damen als Küchenhelferinnen arbeiteten. Der junge Mann – ein Daumen wurde verächtlich auf ihn gerichtet – sei der ewig besoffene Allround-Handwerker des Hotels. Weder Doris noch ich waren traurig über das offenkundige Desinteresse der Küchenhelferinnen an uns. Wir wollten ja nur einen Kaffee trinken und uns ein paar Minuten lang in die Augen sehen.
    Danach suchten wir Herrn Bäuchle, den Personalchef, auf. Wir fanden ihn in der Küche, wo er gerade dabei war, einen Koch nach Strich und Faden zur Sau zu machen.
    Herr Bäuchle war Schwabe, ein hagerer Typ mit schneidender Stimme und dem eisigen Blick eines nordkoreanischen Folterspezialisten. Sein Respekt vor seinen Untergebenen schien auch nicht größer zu sein als die Achtung, die ein Folterspezialist vor seinen Opfern an den Tag legt. Auf jeden Fall hatte er sofort bei mir verschissen. Faschist, dachte ich spontan.
    Die Formalitäten wurden in seinem winzigen Büro erledigt, in dessen Enge und kärglicher Ausstattung ich einen der Gründe für Herrn Bäuchles Boshaftigkeit vermutete. Keine unnötigen Freundlichkeiten, nicht mal ein floskelhafter Willkommensgruß – und natürlich auch kein Scherz zur Auflockerung. Ein einziges Mal ließ er sich zu einem Grinsen hinreißen, und zwar als er hörte, aus welchem Grund wir unsere letzte Arbeitsstelle verloren hatten. »Eine Schrotladung mitten ins Gesicht? Heilig’s Blechle! Hochdramatisch. Tja. Sie können morgen schon anfangen. Frau Hirsekorn Frühstücksdienst und danach Zimmer machen! Sie, Herr Lubkowitz, wird der Küchenchef, Herr Feldgruber, auf den Entremetier-Posten stellen. Ihr Partiechef ist der Herr Gluck.« Dann rasselte er eine endlose Liste von Verhaltensregeln, Ermahnungen und Drohungen runter, kam aber schließlich doch zum Ende und scheuchte uns wie Hühner hinaus.
    Nach der ersten Stunde in der Küche war alles klar. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Hier wurde so menschenverachtend gekocht, dass ich mühelos einsteigen konnte. Von Berufsethos, Achtung vor dem Material oder gar vor den Gästen keine Spur. Im Gegenteil. Damit wäre man nur unangenehm aufgefallen. Hauptsache, die Arbeit ging einem schnell von der Hand. Sechs Köche, zwei Lehrlinge oder Azubis, wie sie neuerdings hießen, eine Küchenhelferin, ein Spüler. Leopold Gluck, genannt Poldi, war der Chef des Entremetier-Postens, also verantwortlich für die Vorspeisen, Suppen und warmen Beilagen. Alles easy. Gemüse wie Erbsen, Karotten und Spargel kamen aus der Dose, Spinat und grüne Bohnen aus der Tiefkühltruhe, Blumenkohl und Kartoffeln wurden mir von der Küchenhelferin geputzt und geschält hingestellt. Die beiden Azubis waren für mich leider nicht verfügbar. Der eine war dem Gardemanger unterstellt, wurde also zur Zeit in die Welt der Salate und kalten Vorspeisen eingeführt, der andere diente dem Küchenchef, der am Herd schwitzend und fluchend die Pfannen und Kasserollen schwenkte, sozusagen als Sklave.
    Einmal schwebte der Chef des Hauses, Herr Hahn, gespensterhaft teilnahmslos durch die Küche, reichte mir im Vorbeischweben flüchtig die Hand, ohne mich anzusehen, murmelte was von »guter Zusammenarbeit
«
und entfleuchte, bevor ich eine Antwort parat hatte.
    Das Hotel war ausgebucht. Die meisten Gäste ähnelten, was das Alter und die soziale Stufe betraf, überwiegend denen, die ich in Bad Nauheim bekocht hatte. Sie bekamen

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