Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
signalisierten, dass das THC im Denk- und Schaltzentrum angekommen war.
Sie zwinkerte uns kess zu, ihr Grinsen wurde spöttisch. »Geiler Stoff, Jungs. Heute müsst ihr ohne mich saufen. – Das heißt, äh, na ja«, sie kicherte kindisch, offenbar über sich selbst belustigt, »ein Glas oder so werd ich wohl doch zur Brust nehmen – und dann vielleicht mit einem von euch in die Kiste steigen. Wahrscheinlich mit Hans …« Die Intensität des Kicherns verstärkte sich, aus welchem Grund auch immer. »Und wenn keiner von euch Bock hat, kann ich immer noch masturbieren.« Sie prustete los, schlug sich auf die Schenkel. Fred starrte sie fasziniert an. Auf seinem Gesicht war zu lesen, dass er gerade einen Ansturm von Fragen zu bewältigen hatte – und offenbar tief von Erkenntnisblitzen beeindruckt worden war. »Musik!«, rief Doris. Als sie eine ihrer Kassetten einlegte und dann mit geschlossenen Augen geradezu verzückt lauschte, schien sich in Fred allmählich der Man-kann’s-ja-mal-versuchen-Gedanke durchzusetzen.
Find It
von den wiedervereinigten Small Faces.
»Ist da noch was drin in der Pfeife?«
»Reichlich. Ich hab ja nur’n paar Züge …«
Schon hing Fred am Schlauch, zündete die Pfeife an und inhalierte wie ein Opiumsüchtiger, musste, wie ich damals, husten, bis ihm die Tränen kamen, doch er gab nicht auf.
Fünf Minuten später zerflossen seine Gesichtszüge, die Augen wurden zu Schlitzen, von schweren Lidern eingerahmt. »Mann oh Mann«, stieß er staunend hervor. Er benötigte etwa eine halbe Stunde, um sich zu sammeln und einen weiteren Kommentar abzugeben: »Mein lieber Scholli.«
Die Musik drang in ihn, er nickte verstehend – und fing an zu labern: »Die Musik der 70er Jahre. Verdammt gut. Wer ist das jetzt? Eagles, was? Aber die kenn ich sowieso. Ich hab ja einiges aus den 70ern auf Kassetten. Durch dich, Doris, hab ich in den letzten Wochen ’ne Menge neuer Sachen kennengelernt. Obwohl ich immer noch den Rock’n’Roll der 50er Jahre liebe – so ist das nicht. Rock’n’Roll ist der Sinn des Lebens. Guter Spruch, hehe. Komisch, dass ich jetzt alles so unglaublich intensiv mitkriege – die einzelnen Instrumente, die Stimme, die Message. Total verrückt – im positiven Sinn. Und, wisst ihr, es ist ein gottverdammter Widerspruch in sich, dass ich einerseits die Gras rauchenden Schriftsteller der Beat-Generation verehre und andererseits Marihuana und Haschisch ablehne, weil Elvis, der Pillen-Freak, strikt dagegen war. Also nichts gegen Elvis, das ist schon mal klar, aber diese Einstellung war – na, ich will nicht unbedingt das Wort Blödsinn benutzen –, war auf jeden Fall …, äh, wo war ich stehengeblieben? Scheiße, Mann.« Er kicherte kindisch vor sich hin.
Scheiße, dachte ich in diesem Moment und an den ganzen nächsten Abenden missmutig, denn die beiden rauchten von nun an regelmäßig. Doris brachte ihm, geradezu missionarisch eifernd, Roxy Music, Bob Seger und Joni Mitchell nahe, er analysierte mit ihr die Elvis-Songs, wies sie auf das Gitarrenspiel von Scotty Moore und auf den Drummer D.J. Fontana hin, und offenbar verstanden sie sich prächtig.
Mir blieb, immer cool, nichts anderes übrig, als ab und zu milde zu lächeln und so zu tun, als tolerierte ich seufzend die Spinnereien der beiden. Tatsächlich fühlte ich mich in diesen Stunden ausgeschlossen. Sie lachten so beschissen einvernehmlich über Dinge, an denen nichts komisch war. Es ging mir allmählich verdammt auf die Eier. Als wir uns einen völlig ernstgemeinten Krimi ansahen, den ich gebannt verfolgte, bepissten sich beide fast vor Lachen – wegen des Films sowieso und vermutlich auch meinetwegen, weil ich so gebannt auf den Bildschirm starrte und vor allem, weil ich sie irgendwann todernst als Idioten bezeichnete.
Aber sonst lief alles locker. In unseren Stammkneipen kannte uns jeder. Selbst die harten Hunde nickten uns wohlwollend zu. Ich lernte die Altstadtoriginale kennen – zum Beispiel Claque Claque, der für die Nutten einkaufen ging und stets top gekleidet war, weil er die abgelegten Klamotten der Loddels tragen durfte, und Gitarren-Albert, ein Penner, der mit seiner Gitarre durch die Kneipen zog und jeden fragte: »Haste ma e rostisch Mack?« Man gab uns Drinks aus, wir schmissen auch mal ’ne Lokalrunde, manchmal, wenn so’n Scheiß wie
Heimweh
von Freddy Quinn gespielt wurde und wir den nötigen Besoffenheitsgrad erreicht hatten, sangen oder grölten wir gemeinsam mit all den anderen
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