Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
besoffenen Gästen: »Brennend heißer Wüstensand – fern, so fern dem Heimatland …!« Dabei verspürte ich öfter zu meiner Verwunderung eine mir eigentlich fremde, sentimentale Gerührtheit, ein Gefühl des wohligen Verschmelzens mit den ganzen Dumpfbacken um mich herum, mit der ganzen Kneipe, dem ganzen Städtchen – und wenn nicht mit der ganzen Welt, so immerhin mit der ganzen Wetterau. Das muss man sich mal vorstellen! Wo mich die Wetterau doch eigentlich einen Scheiß interessierte und ich, obwohl ständig von Apfelwein-Trinkern umgeben, bekennender Apfelwein-Hasser war. Aber logisch: Es war nur das Bedürfnis, irgendwo dazuzugehören. Warum nicht Friedberg in der Wetterau? Wir wurden hier, zumindest in bestimmten Kreisen, akzeptiert – und genau das hatte ich ersehnt. Es gefiel mir. Doch ab und zu fragte ich mich, ob wir möglicherweise einen wichtigen Punkt übersehen haben könnten, irgendeine Schwachstelle, mit der ich, als gereifter Pessimist, ohnehin stets rechnete, ob wir eventuell die Statik unseres Traumgebäudes falsch berechnet haben könnten und alles demnächst einstürzen würde.
Horsti also, der Ölige. Er war die beschissene Schwachstelle – betrat eines Abends, entschuldigend, aber keineswegs geknickt grinsend und in Begleitung eines Riesen und zweier Gorillas die Bar.
»Knochenbrecher-Rudi«, stammelte ich entsetzt, nachdem mein Gehirn das von den Sehnerven empfangene Bild begriffen hatte.
Doris, ziemlich stoned, wie neuerdings leider immer um diese Zeit, murmelte rätselnd: »Spinne ich jetzt, sag mal, oder steht da wirklich dieser Dings, dieser Knochenbrecher-Rudi?«
Ich beugte mich konspirativ zu Fred und raunte ihm mit belegter Stimme ins Ohr: »Der Koloss bei Horsti, weißt du, wer das ist? Knochenbrecher-Rudi.«
Mein Freund, ebenfalls stoned, ließ die Tunte raushängen: »Ach Gottchen, sag mir das doch nicht so brutal ins Gesicht. Mir wird ja sofort speiübel.«
»Ich hab’s dir ins Ohr und nicht ins Gesicht gesagt«, zischte ich – und wusste sofort, dass diese Antwort überflüssig war und nichts an der Situation ändern würde. Fahriger, nach Beistand und einem Schlupfloch suchender Rundblick, mein Herz hämmerte einen verdammt schnellen Beat. Hier war keiner, der sich für uns in die Bresche werfen würde. Aber jeder im Raum spürte spontan, dass Ärger in der Luft lag.
Die vier Arschgesichter standen wie eine Betonwand vor unserem Tisch – das heißt, Horsti gehörte natürlich nicht zur Betonwand, sondern beugte sich elastisch und lakonisch lächelnd zu uns herunter: »Tut mir wirklich leid, Freunde, ich hab nicht das Geringste gegen euch, aber Rudi und ich sind in derselben Branche, und wenn einem Kollegen zehn Uzis geklaut werden, ist Solidarität oberstes Gebot. Verdammt sensibles Gewerbe, wisst ihr. Man tauscht sich aus, hört sich um. Solche Eingriffe schaffen böses Blut, Verwirrung. Das wollen wir nicht.« Obwohl er uns nicht die Hand gegeben hatte, strich er sich über den Schädel.
Rudi grinste natürlich nicht. Er war, selbst in der Position des Stärkeren, nicht der Typ des Grinsers, stand, angestrengt um Ausdruckslosigkeit bemüht, mit vor der Brust verschränkten Armen vor uns. Schon der Klang seiner Stimme versprach nichts weniger als Untergang: »Keine Angst, ich mach hier im Laden keinen Ärger, aber ich weiß, wo euer beschissener Puff ist. Und dort werd ich demnächst auftauchen und allen Wichsern beweisen, dass mein Spitzname immer noch berechtigt ist.«
Hatte er zum Schluss etwa doch einen Ansatz von Grinsen gezeigt? Wohl eher nicht.
E S WIRD VERDAMMT KALT
Nach etwa einer Stunde verpissten sie sich. Rudi, der sich so locker und selbstsicher inszeniert hatte, als wäre er hier zu Hause, winkte uns zum Abschied zu und zog den Daumennagel über seine Kehle. Alles klar, du Arschloch, Botschaft verstanden, dachte ich.
Wir wären ja liebend gern schon vorher abgehauen, hatten aber befürchtet, dann sofort die Gorillas im Nacken zu haben, und fühlten uns im Trubel der Kaschemme relativ sicher.
Nun wagten wir uns allerdings auch nicht nach draußen, da wir uns mühelos vorstellen konnten, dass diese Drecksäcke irgendwo in der Dunkelheit auf uns warteten. Also tranken wir noch einen. Wir mussten ja Gott sei Dank nicht frühmorgens aus den Federn.
Käthe, die bucklige Blumenfrau, die in den Kneipen Rosen verkaufte, tauchte irgendwann auf und raunte uns zu: »Die sitzen jetzt in der
Oase
. Ich glaub, die Luft ist rein.«
Gerührt kaufte Fred
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