Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
ihr das ganze Bündel halbverwelkter Blumen ab.
Die Furcht blieb uns freilich treu, rumorte in uns wie ein überaus wirksames Nervengift. Der so vertraute Heimweg schien an mindestens zwanzig Stellen ideal für einen Überfall zu sein. Wortlos, immer im Schatten, dicht an den Häuserwänden, bewegten wir uns, mal schleichend, mal hastend, vorwärts.
Das Licht im Treppenhaus funktionierte nicht. Ich nahm an, dass den beiden anderen ein ebenso großer Eisklumpen im Magen lag wie mir. »Sie erwarten uns«, flüsterte Fred. »Fragt sich nur, auf welcher Etage.«
»Zumindest«, flüsterte Doris zurück, »sind sie nicht in der Wohnung, sonst hätten sie sich das mit der Treppenhauslichtsicherung erspart.«
Auf allen Vieren huschte ich zur Kellertreppe, neben der, das wusste ich, der Sicherungskasten hing. Vielleicht, dachte ich, auf alles gefasst, stehen sie genau davor. Unendlich langsam erhob ich mich, hielt die Luft an. Hier schien sonst niemand zu sein. Ich ließ mein Feuerzeug aufflammen. Die Sicherung war nicht herausgedreht worden, sondern hatte einfach ihren Geist aufgegeben. Doris stand jetzt neben mir. Ihre mit einem äußerst praktisch denkenden Gehirn verbundenen Augen erspähten sogleich die Schachtel mit den Ersatzsicherungen und zack, zack, schon war das Treppenhaus erleuchtet.
»Sie könnten doch in der Wohnung sein«, murmelte Fred. Er sah beschissen aus, sein Gesicht war so weiß, dass ich unwillkürlich an
A Whiter Shade Of Pale
von Procol Harum dachte und dabei leise vor mich hinlachte.
»Warum lachst du denn, verdammt noch mal?« Nun verzerrte sich das schon ganz schön verlebte Gesicht, und mir fiel dabei, zu meinem eigenen Erstaunen, der traurige Clown in
Death Of A Clown
von Dave Davies ein:
»My make-up is dry and it cracks on my chin
I’m drowning my sorrows in whiskey and gin …!«, was mein Lachen noch verstärkte – ein bitteres, von Schicksalsergebenheit geprägtes Lachen wohlgemerkt, das beim Rest der Wohngemeinschaft nicht gut ankam. Ich wurde mittels bedächtig geschüttelter Köpfe und strenger Blicke gerügt, hoffte natürlich, dazu auch noch einen Song auftreiben zu können, aber die Quelle war versiegt. Dafür überflutete mich wieder das Unbehagen.
Doch die Wohnung empfing uns unbenutzt und unbeschmutzt von fiesen Typen. Wir verbarrikadierten die Wohnungstür mit einer schweren Eichenholzkommode, einem der letzten verbliebenen Möbelstücke aus Frau Finks ehemaligem Schlafzimmer, und stellten noch, in Ermangelung einer Alarmanlage, eine Batterie leerer Flaschen darauf.
»Heute kommen sie nicht«, behauptete ich, als wir nach dieser Arbeit ein paar Beruhigungsdrinks kippten.
»Aha«, sagte Doris sowohl spöttisch wie auch grimmig, auf jeden Fall genauso angespannt wie ich, »der Experte hat das Wort.«
Ich reagierte aufgebracht: »Wenn du einfach mal nachdenken würdest, wär dir klar, dass sie sich Zeit nehmen, um uns genüsslich in unserer Angst schmoren zu lassen. Sie haben’s nicht eilig. Vielleicht stürmen sie während der Geschäftszeit hier rein, um den ganzen Laden aufzumischen. Auf jeden Fall stecken wir tief in der Scheiße – schon weil uns die Angst allmählich zersetzt.«
Fred, mit verdüsterter Miene, starrte ins Nirgendwo. »Wir sollten den Buick vollpacken und verduften, irgendwo was Neues aufziehen. Irgendwann in den nächsten Wochen werde ich endlich an das Vermögen meiner Mutter rankommen. Wir könnten nach Sylt. Ach nein, jetzt ist Herbst, vielleicht nach Oberammergau. Südtirol soll auch einen gewissen Charme besitzen …«
Doris’ Aufschrei unterbrach ihn. Sie klatschte dazu überflüssigerweise eine Hand auf die Tischplatte, worauf die Wasserpfeife umfiel und ihren bräunlichen Inhalt auf den Teppich ergoss.
»Das musste ja nicht sein, verdammt«, fuhr ich, von jähem Zorn gepackt und den nur mühsam beherrschend, meine Freundin an. Doch die, total betrunken, wie mir jetzt erst auffiel, schrie, in einem See aus Trotz und Pathos badend: »Wir hauen nicht ab, ihr Defätisten! Dies ist unser Zuhause, ihr Arschlöcher! Wir werden unser Heim verteidigen – und wenn wir dabei untergehen! Auf meinem Grabstein soll dann stehen:
Ich hab’s versucht
! Mein Gott, Jungs, so schlecht steht die Sache gar nicht! Wir haben eine Beretta und eine Uzi, haufenweise Handschellen, Peitschen, Brustwarzenklammern, Ketten, Klebeband, eine Streckbank, einen Käfig …!«
»Wahrscheinlich werden sie dein Domina-Spielzeug an uns ausprobieren«, warf Fred erregt
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