Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Wissen herauszuposaunen, würde sich erst mal drüber freuen, den Knochenbrecher nicht begleitet zu haben. Doch wenn die Bullen ihn zum Schwitzen brächten, oder überhaupt, grundsätzlich, mal angenommen, er sähe für sich im Petzen einen Vorteil – was dann?
Scheißgefühl, von nun an täglich unsere Aufmerksamkeit dem Waffenhändler widmen zu müssen. Am Rande meines Bewusstseins flackerte kurz und gemein der Gedanke an Horstis Beseitigung auf.
Drei Tage später, am 1. November, reiste Abdullah ab – zum Teil widerstrebend, aber dem Vater gehorchend, zum Teil begierig die Bewunderung seiner Landsleute erwartend. Rührende Abschiedsszene, selbst Herr Rahman und die Bodyguards hatten feuchte Augen. Wir drei winkten erst dem Konvoi hinterher, dann der Villa zu, die wir nun verlassen mussten und die jetzt, nach unserem Auszug und von außen betrachtet, protzig wirkte, kalt und abweisend, als wüsste sie, dass solche wie wir nur durch Zufall und dank der Launen schwerreicher Spinner über ihre Schwelle stolpern.
Immerhin war die Wohnung freigegeben worden. Das Blut hatte, wie erwartet, keiner aufgewischt. Kein schöner Anblick. Doch das war nicht das Schlimmste. Von nun an strich ständig ein Hauch von Kälte durch die Räume, obwohl die Heizkörper tadellos funktionierten, ein gespenstischer Luftzug, rational nicht erklärbar, ließ uns frösteln und verstärkte die Ratlosigkeit. Das Domina-Studio, vor Tagen noch ein Tempel der Lust, wirkte nun, seiner Funktion beraubt, nur noch grotesk, nicht einmal obszön oder abgründig, nein, einfach nur trist.
Draußen war es noch ungemütlicher. Typisch Herbst, typisch November: grau, feucht, kalt, das nasse Laub, vermischt mit Hundescheiße, klebte an den Sohlen, wurde in die Wohnung getragen, vereinigte sich dort mit dem Blues und wirkte somit nicht mal wie etwas, das besser draußen bleiben sollte.
Zur Zeit keine Elvis-Songs. Nicht, dass wir Fred die Daumenschrauben angelegt, ihm Liebesentzug oder so was angedroht hätten, ach, keineswegs, er war selbst der Meinung, dass es momentan keine Alternative zu Doris’ Blues-Platten gäbe. Traurige Songs von John Lee Hooker, Jimmy Witherspoon, aber auch von Led Zeppelin und Van Morrison, schwebten düster durch die Wohnung, ihr Echo troff wie Kleister von den Wänden.
TB Sheets
von Van Morrison etwa kroch in mich hinein wie ein Parasit, der mich langsam von innen auffraß.
Dennoch war gegen diese Stimmungsverstärker, vom ästhetischen Standpunkt betrachtet, nichts einzuwenden, da sie sich mühelos mit den anderen Faktoren – dem erhöhten Haschisch- und Whiskey-Verbrauch, dem Scheißwetter, der trüben Stimmung und unserer Ratlosigkeit – vereinten.
In den Kneipen galten wir, wie erwartet, als Attraktion. Kaum einer der hiesigen Unterweltler konnte sich rühmen, jemals etwas Ähnliches erlebt zu haben. Heini Schmuck war die Ausnahme. Er hatte achtzig Lenze auf dem Buckel, von denen er dreißig im Knast verbrachte, und erzählte seit Jahren von den Bandenkriegen im Frankfurt der 20er Jahre. Seinen Ruf als ernstzunehmender Zeitzeuge hatte er allerdings längst verspielt, da er seine Geschichten jedesmal anders erzählte und sogar schon behauptet hatte, Al Capone persönlich wäre 1929 bei ihm aufgetaucht und hätte ihm angeboten, einen üblen Bezirk in Chicago zu übernehmen, um »den Saustall auszumisten«.
Horsti verwandelte sich in unserer Anwesenheit, ein Lächeln andeutend, zu einem Schatten im Hintergrund. Geradezu elegant verschmolz er bei unserer Ankunft mit der Wand und den um ihn Herumstehenden. Nicht aus Furcht – nur taktisch geschickt und sehr glatt. Von Angst oder gar Reue keine Spur. Er war, wie ich vermutet hatte, trotz seines schmierigen Aussehens und Gehabes ein knallharter Typ, auf rührende Weise heimatverbunden, Anhänger des VfB Friedberg, sentimental wenn’s angebracht war, gab zu später Stunde und nach einem guten Geschäft auch mal ’ne Lokalrunde aus, aber im Grunde schien er von Menschen nicht viel zu halten. Einmal näherte er sich schattenhaft unserem Tisch, raunte nur kurz zwischen uns hindurch, von seiner Seite drohe uns keine Gefahr, er habe den Kollegen Rudi nur pflichtgemäß informiert, damit sei die Sache für ihn erledigt gewesen, und er hoffe, das werde von uns genauso sachlich gesehen.
»Wir müssen den Sack beseitigen«, murmelte ich, von der Monstrosität dieser Überlegung geschüttelt – und in diesem bedeutungsschweren Augenblick sang ausgerechnet Peter Kraus, der
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