Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
Sie mir dann irgendwelche wirren Gedanken?«
»Ich unterstelle Ihnen keine wirren Gedanken.«
»Tun Sie doch.«
»Tu ich nicht.«
»Doch, tun Sie.«
Er starrte mich stählern an, als wolle er seinen Blick durch meine Augen hindurch in mein Gehirn bohren, aber ich ließ mich auf dieses Spielchen nicht ein und schaute zur Decke, die gar nicht mal uninteressant war, da der Tabakrauch im Laufe der Jahre ockerfarbene Muster darauf hinterlassen hatte, die mir wie Blumen auf einem Gemälde vorkamen.
Als er wieder sprach, dominierte ein bemüht neutraler Ton seine Stimme. »Herr Lubkowitz, jetzt mal im Ernst. Drei Schwerverbrecher aus München kommen, warum auch immer, nach Friedberg und hören zufällig, von wem auch immer, dass der Sohn eines stinkreichen Scheichs zu einer bestimmten Uhrzeit in der Wohnung des Alfred Fink sein wird. Sie gehen dahin in der Absicht, ihn zu entführen, rechnen, obwohl seit Jahren Berufsverbrecher, keineswegs mit der Anwesenheit irgendwelcher Leibwächter, treten die Tür ein, ziehen ihre Waffen und werden, ohne selbst einen Schuss abzugeben, durchsiebt. Halten Sie das für realistisch?« Fragender Blick mit leicht spöttischem Hintergrund.
Ich verkniff mir einen ebenso spöttischen Ausdruck, zuckte nur die Achseln und sagte, inzwischen auf einer deutlich niedrigeren Erregungsstufe angelangt: »Realistisch ist das, was tatsächlich passiert. Oder glauben Sie, ich hätte es für möglich gehalten, dass ich meine erste Arbeitsstelle in Freiheit nach kurzer Zeit verlieren würde, weil mein Chef das Gesicht seiner Frau zersiebt? Und würde ich Ihnen erzählen, warum ich die zweite Arbeitsstelle verloren hab, würden Sie mir das garantiert nicht glauben, obwohl man sich so was überhaupt nicht ausdenken kann, weil es vollkommen krank ist. Nein, also, tut mir leid, ich hab die Typen noch nie zuvor gesehen, und was sich in deren Köpfen abgespielt hat – keine Ahnung. Ich kann nur wiederholen, dass ich mit den Begleitern des Fürstensohns im Wohnzimmer saß und mit ihnen Kaffee trank und Kekse knabberte, als plötzlich die Wohnungstür krachend aufflog, worauf die dunkelhäutigen Herren in den dunklen Anzügen sofort mit gezogenen Pistolen in den Flur sprangen. Dann wurde geschossen, es knallte fürchterlich …«
»Wie oft knallte es?«
»Kann ich nicht genau sagen, vielleicht zehnmal? Auf jeden Fall war alles nach, was weiß ich, etwa zehn oder auch zwanzig Sekunden vorbei, ich streckte den Kopf in den Flur und sah drei Tote.«
»Woher wussten Sie, dass die tot waren? Sind Sie darin Experte?«
Solche scheinbar cleveren Zwischenfragen hatten mich schon immer angeödet. Ich zog ein entsprechendes Gesicht und sagte aufreizend blasiert: »Ich bin darin kein Experte, aber wenn ich jemanden auf dem Boden liegen sehe, der ausdruckslos ins Nichts starrt, nicht mehr atmet, aus mehreren Wunden blutet und außerdem ein Loch mitten in der Stirn hat, erlaube ich mir davon auszugehen, dass er von uns gegangen ist – wohin auch immer.«
Bevor der Bulle etwas sagen konnte, sprach ich weiter, er hörte auch geduldig zu, vielleicht weil ihn die Erfahrung gelehrt hatte, dass Plaudertaschen unbewusst und oft zwangsläufig zu Wegweisern werden. Außerdem war er sowieso nicht der Rottweiler-Typ. »Also ich würde sagen, die Jungs aus dem Morgenland haben ihren Job verdammt gut gemacht und Ihnen eine Menge Kopfzerbrechen erspart, weil die Entführung eines arabischen Fürstensohns nicht gerade das ist, was die Polizei in Friedberg, die Kurverwaltung in Bad Nauheim, das BKA und die Politiker in Bonn zur Zeit ersehnen. Riecht nach Terrorismus, nach Nahost-Konflikt, nach zunehmender Bandenkriminalität, dann kommt noch unsere Abhängigkeit vom Erdöl ins Spiel, also bloß keine Differenzen mit den Emiraten, und die in Bad Nauheim so heiß begehrten arabischen Kurgäste sollen ja keinesfalls abgeschreckt werden.«
Listiger und, wenn ich mich nicht täuschte, anerkennender Blick über die aufgeräumte Schreibtischplatte hinweg. »Na, Sie hören sich ja fast wie Politiker an. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Ist auch alles eine Überlegung wert. Aber es ist äußerst ungewöhnlich, dass jemand, der vor kurzem Zeuge eines Gemetzels war, so emotionslos über die eventuellen außenpolitischen Turbulenzen eines von der Friedberger Polizei ein wenig unsensibel bearbeiteten Zwischenfalls in einem hiesigen Bordell referiert.«
Ich winkte theatralisch ab. »Wie Sie wissen, hab ich vor einigen Wochen das
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