Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
zerschossene Gesicht meiner damaligen Chefin gesehen. Ein Anblick, der mir heute noch Alpträume bereitet. Und dann kommen drei Gangster daher, die mich und meine Freunde ermorden wollen …«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil sie nicht maskiert waren. Oder glauben Sie, die hätten uns auch entführt?«
»Und die Leibwächter?«
»Sie haben wohl tatsächlich nicht mit Bodyguards gerechnet – oder zumindest nicht mit so qualifizierten Bodyguards.«
Ich konnte buchstäblich sehen, wie angestrengt der Beamte überlegte, wie er die Fakten hin- und herschob, miteinander verknüpfte und den möglichen Tathergang den politischen Dimensionen anzupassen versuchte, während er seine Pfeife mächtig qualmen ließ. Es kam mir vor, als stünde auf seiner Stirn geschrieben ›Hier wird nachgedacht!‹
»Hm, hm, ja«, murmelte er schließlich gedehnt, »sieht wohl im Moment nach einer Notwehrsituation aus. Ob die arabischen Leibwächter befugt sind, in der Bundesrepublik Pistolen zu tragen, muss ich noch klären. Auf jeden Fall ist das jetzt schon eine politische Angelegenheit. Der Vater dieses Abdullah ibn Dingsbums ist bestens vernetzt mit allen wichtigen Personen des Emirats, und weil die Industrieländer ja bekanntlich vom Öl abhängig sind, wird der braune Scheißer vermutlich in den nächsten Tagen unbehelligt ausreisen können. Und mit ihm sein ganzes Gesocks.« Er hob den verwitterten Kriminalbeamtenkopf, um mich von einer leicht erhöhten Position aus anzustarren, quasi aufzubohren. »Aber ich werde an der Sache dranbleiben; still und emsig wie ein Borkenkäfer werde ich meine Gänge graben.«
»Eine schöne Metapher«, sagte ich ergriffen, während mir einfiel, dass auch Herr Schmehle von Borkenkäfern geredet hatte. Überdies schätzte ich mittlerweile die Aussicht auf einen baldigen Drink als realistisch ein.
Abermals flog ein listiger Blick über den Schreibtisch. »Noch eine Frage, Herr Lubkowitz: Wenn Sie alle so harmlos sind und lediglich illegale sexuelle Dienstleistungen anbieten – was hat dann eine Beretta, Kaliber 7,65, in der Eichenkommode verloren?«
Mein Magen krampfte sich zusammen, als hätte ich Essig gesoffen, die Mundhöhle trocknete schlagartig aus. Verdammte Scheiße, total vergessen. Jetzt hieß es improvisieren. »Davon weiß ich nichts. In dieser Kommode liegt doch nur Zeug der verstorbenen Frau Fink – gruselige Büstenhalter und so’n Kram. Dann wird das ihre Kanone gewesen sein.«
»Das ist doch Quatsch!« Vehement wedelte mein Gegenüber mit der Hand. »Frau Fink hat sonntags in der Heilig-Geist-Kirche immer am lautesten gesungen, sie war so fromm, dass einem schlecht werden konnte. Was sollte die denn wohl mit einer Schusswaffe wollen?«
Ich verzog den Mund und gab mich locker. »Da bin ich überfragt. Aber ich kann Ihnen sagen, dass Fred Fink mir einiges über die Abgründe in seiner Mutter erzählt hat – Gewaltphantasien, Verfolgungswahn, solche Sachen.«
Locker fühlte ich mich ganz und gar nicht, denn ich hatte keinen Schimmer von dem, was meinen Freunden auf die Schnelle zur Beretta eingefallen war. Ich wäre, wie so oft, gern locker gewesen, hatte ja stets, wenn auch widerstrebend, die wirklich harten Typen bewundert, die in brenzligen Situationen den Überblick behielten, so was wie Panik wahrscheinlich noch nicht mal als Kinder gespürt hatten und wie Felsbrocken auf Vernehmungsstühlen saßen und derlei Verhöre nahezu gelangweilt über sich ergehen ließen. Nein, so einer war ich leider nicht und würde es wohl auch nie werden.
Die Nacht war längst gewichen, als wir alle endlich gehen durften. Wir fühlten uns ausgelaugt, aber ziemlich befreit. Wenn man drei Leichen und ’ne Menge Blut in seiner Wohnung hat, rechnet man instinktiv mit einem längeren Verweilen in der Obhut der Bullen, des Staatsanwalts, sogar mit Untersuchungshaft. Und nun auf einmal frei, nach einer Nacht voller Zweifel und Befürchtungen, im Licht der hinter den Dächern aufsteigenden Sonne, bereit, den neuen Tag zu feiern, vor allem weil wir feststellten, dass Freds und Doris’ Erklärungen zur Beretta nicht im Widerspruch zu meiner Aussage standen. Sie hatten beide instinktiv und glaubhaft angewidert behauptet, nie in der Grusel-Kommode gestöbert zu haben.
»Wo sollen wir denn nun hin?«, fragte Fred nach dem kurzen Moment der Wiedersehensfreude ratlos und ernüchtert. »Unsere Wohnung ist ja noch nicht freigegeben worden. Tatort. Das kann sich ewig hinziehen.«
»You come to my house«,
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