Das Jahr des Hasen
Der Hase bekam frisches Gras und Wasser.
Die beiden Männer gingen nach draußen, Vatanen ließ sich auf die Liege sinken. Im Halbschlaf spürte er, daß der Hase ans Fußende hüpfte, sich eine angenehme Lage suchte und für die Nacht einrichtete.
Gegen Morgen hörte Vatanen im Halbschlaf, wie die beiden Männer vom See zurückkehrten. Sie sprachen leise vor der Hütte und kamen dann zum Schlafen her ein. Der Kommissar legte sich auf die Saunabretter, Hannikainen auf die Pritsche in der Stube. Der Hase hob den Kopf, schlief aber gleich wieder ein.
Um acht Uhr wachte Vatanen erfrischt auf. Hannikai nens Pritsche war leer. Die beiden Angler waren offenbar gerade aufgestanden, sie machten nämlich draußen Feuer. Der Wasserkessel wurde über das Feuer gehängt, Hannikainen nahm Butterbrezeln aus einer Plastiktüte. Vom See her tönten die Schreie der Stelzvögel. Morgen nebel lag über dem Wasser, aber es würde ein klarer Tag werden.
Der Kommissar fuhr nach dem Kaffeetrinken ins Kirchdorf, um sich seinen Pflichten zu widmen. Das Geräusch des Autos auf dem Waldweg wurde schwächer und erstarb schließlich.
Hannikainen holte Speck aus der Hütte, schnitt ihn in Streifen, legte sie in die Pfanne und briet die Stücke aus, daß das Fett spritzte. Dann gab er eine Pfundbüch se Rind- und Schweinefleisch dazu. Das Gericht war bald fertig. Hannikainen schnitt lange Scheiben von einem großen Roggenbrot ab, belegte sie mit dem heißen Fleisch und reichte Vatanen eine Scheibe. Es schmeckte köstlich. In Helsinki hatte Vatanen Mühe gehabt zu frühstücken, aber hier draußen schmeckte ihm das Essen.
Hannikainen gab ihm das Angelgerät des Kommissars und dazu Gummistiefel und Pullover. Seine eigenen Halbschuhe und sein Jackett ließ Vatanen an einem Haken in der Hütte zurück, wo die Sachen wahrschein lich heute noch hängen.
Die beiden blieben den ganzen Tag bei der Hütte, an gelten, kochten Fischsuppe, lagen in der Sonne und blickten auf das Schilf am See. Am Nachmittag zog Hannikainen eine Flasche Wodka aus dem Rucksack, schraubte den Verschluß auf und goß jedem einen Schluck ein.
Er war schon recht betagt, an die Siebzig, grauhaarig, hochgewachsen und gesprächig. Im Laufe des Tages lernten sich die Männer näher kennen. Vatanen erzählte von den Stationen und der Bewandtnis seines Herum reisens. Hannikainen war verwitwet und lebte allein, verbrachte den Sommer jedoch stets mit dem jungen Kommissar beim Fischfang. Er war bestens über die Ereignisse in der Welt informiert und machte sich auch gern Gedanken darüber.
Vatanen fragte sich, was an Hannikainen so Besonde res sein mochte, daß ihn der junge Kommissar am Abend extra erwähnt hatte; bisher war ihm an den Lebensgewohnheiten des alten Mannes nichts Unge
wöhnliches aufgefallen, es sei denn, man betrachtete friedliches Fischen im Sommer als Besonderheit.
Die Lösung des Rätsels ließ nicht lange auf sich war-ten.
Nach dem zweiten Becher Wodka lenkte Hannikainen das Gespräch in ernste Bahnen und sprach über den Staat und die Gewalt. Er redete von der Verantwortung der Regierenden, ihrer Macht und ihren Praktiken, und er gestand, daß er nach seiner Pensionierung angefan gen habe, diese Dinge näher zu untersuchen. Obwohl er sein Leben als Polizeikommissar eines Kirchdorfes in der Provinz verbracht hatte, kannte er sich in den Grundge setzen der westlichen Länder, den Feinheiten des Par lamentarismus, der Rechtsprechung in den sozialisti schen Staaten erstaunlich gut aus. Vatanen lauschte andächtig und interessiert, während Hannikainen die Probleme darlegte, mit denen sich auch die finnischen Verfassungsschützer recht häufig herumschlagen muß ten.
Hannikainen kritisierte, daß der finnische Präsident laut Verfassung viel zu viele Staatsangelegenheiten allein entscheiden dürfe. Als Vatanen fragte, ob er denn nicht meine, daß Präsident Kekkonen die ihm übertra gene Macht in geradezu beispielhafter Weise ausgeübt habe, antwortete Hannikainen: »Ich arbeite seit vielen Jahren an einer Art wissenschaftlicher Untersuchung über Präsident Kekkonen, und das Ergebnis erschreckt mich selbst. Ich meine, ich bin nicht erschrocken über seinen Regierungsstil, den bewundere ich eher, aber trotzdem… Ich sammle lediglich Informationen, verglei che, sichte, ziehe Schlußfolgerungen. Das Ergebnis ist niederschmetternd.«
»Was hast du herausgefunden?«
»Ich halte das alles streng geheim, nur Savolainen weiß
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