Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
du warst schon immer sehr gut darin, aus dem Paradies die Hölle zu machen, damit ich nicht auf den Gedanken käme, es dir wegzunehmen. Normalerweise nennt man solche Menschen Lügner, Betrüger. Aber du bist noch schlimmer. Auch wenn es dir unangenehm ist, erinnere dich: Kaum hatte ich auch ein wenig Aufmerksamkeit von Großvater bekommen, plantest du, mich umzubringen. Es gelang dir zwar nur, mir ein Bein abzufahren, aber ...«
»Du weißt selbst, dass es so nicht war.«
»Du willst also behaupten, dass du an diesem seltsamen Unfall nicht beteiligt warst? Du hast also nicht den Zauberstab, den du dir damals gekauft hattest, unter Vaters Wagen geschoben? Nein? Du wusstest, dass ich versuchen würde, ihn zu holen. Und dann bist du auf den Fahrersitz geklettert und hast die Bremsen gelöst.«
»So war es nicht.«
»Doch, genau so war es. Frag Vater.«
Ich stand auf. »Ich glaube, es hat im Augenblick keinen Sinn, mit dir zu reden. Gib mir einfach nur William Godins Adresse.« Ich winkte dem Kellner, um zu bezahlen.
»Sicher, klar. Geh hin und beschwer dich bei Großvater über mich, wie du es immer gemacht hast. Aber es wird dir nichts mehr nützen. Er wird dir nicht mehr glauben. Deine Zeit ist vorbei. Jetzt bin ich dran.«
»Seine Adresse!«
Martin verschränkte die Arme und starrte auf das Schachbrett. Die Unterlippe hing schräg herab, als hätte er einen Schlaganfall bekommen.
»Die Adresse!«
Martin zog langsam seinen Cocktail zu sich heran. Er schnüffelte daran, dann nippte er. Er erhob sich, zog an seinem Jackett, dann an seinen Ärmeln. Für einen Moment sah es aus, als wollte er sich mit mir prügeln.
»Tut mir leid«, sagte er. »Tut mir wirklich leid.« Er reckte sich. »Und wenn ich dafür in die Hölle käme, seine Adresse kriegst du nicht.«
Er zog die Mundwinkel herab, schob die Unterlippe vor. Sie glänzte, sah aus, als wäre sie ein Stück seines Darmes.
35
Zwischen Schlaf und Wachen gab es einen Zustand, in dem ich der Wahrheit nahekam, auch wenn nicht alles logisch zusammenpasste:
Es muss mein Geburtstag gewesen sein. Der neunte? Ich war krank, lag im Bett und betrachtete einen Prospekt für Fernsehgeräte. Auf dem Titel guckte der Moderator einer Quizshow aus einem Bildschirm. Er sah ein bisschen aus wie Großvater und hielt Geldbündel in der Hand, die aus dem Bild herausragten. Wie ich den Kopf auch drehte, es blieb immer ein unscharfer Fleck auf seinem Gesicht.
Doch, ich bin sicher, es war an meinem Geburtstag. Ich hatte den Katalog wieder mit ins Bett genommen, um die Bilder auf den Bildschirmen der abgebildeten Fernsehgeräte zu betrachten. Ich konnte sie nicht richtig erkennen, mir wurde schwindelig davon. Aus dem Betttuch wurde Sandpapier. Die Haut an meinen Ellbogen und Knien war bereits aufgeschürft. Jetzt drückte mein Gewicht meinen Körper wie einen Radiergummi auf das raue Tuch. Jede Bewegung hinterließ eine Blutspur. Ich nahm alle Kraft zusammen, biss mir auf die Lippen und stützte mich auf beide Arme.
»Du wirst sterben«, sagte meine Bruder. Seine Lippen waren dick und glänzten.
»Ich hab dich vergiftet«, sagte er, »und nun werde ich mit Großvater fahren.«
Ich sprang aus dem Bett, taumelte zum Fenster, öffnete es und schrie: »Ich will mitfahren!« Es war mein Geburtstag, mir mussten Wünsche erfüllt werden, nicht meinem Bruder.
»Er vergiftet mich!«, rief ich. »Er will mich umbringen.«
Unten stand mein Vater mit meinem Großvater am Auto. Der Motor lief bereits. Sie hörten mich nicht. Ich glaube, sie wollten ohne mich losfahren. Ich war zu schwach.
Mein Bruder kniete an der Seite des Wagens und hob mit einem Spielzeugbagger Sand aus den Fahrspuren.
Ich winkte mit beiden Armen, und mir war, als stieße ich dabei gegen eine Glasscheibe. Meine Nase begann zu bluten. Blut tropfte auf die Fensterbank. Meine Mutter kam aus dem Haus und sah zu mir herauf. Sie sagte etwas, aber ich hörte nichts, konnte jedoch jedes Wort von ihren Lippen ablesen: »Es ist das Beste für dich, wenn du stirbst. Jetzt, wo du zu nichts mehr nütze bist.«
Ich schwankte zurück, stieß an einen hölzernen Kasten mit Spielzeug. Er sah genauso aus wie jener Kasten, in dem ich die Landschaften für meinen Großvater hatte bauen müssen. Ich nahm den Zauberstab heraus, schüttete die restlichen Dinge auf den Boden und warf den Holzkasten mit aller Kraft aus dem Fenster, um die Glasscheibe, die mich von allem trennte, zu zerstören.
Ich beugte mich wieder hinaus, und weil das
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