Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
Vom Netzwerk:
Tschugeister deuteten ein Lächeln an.
    »Hast du deine Papiere dabei?«
    Er zog seinen in Plastik eingeschweißten Schülerausweis aus der Innentasche.
    »Aha, Klawdi Starsh, Wyshnaer Schule Nr. 3. Wir werden deinen Lehrern selbstverständlich nichts von deinen fragwürdigen Ausflügen berichten. Aber das nächste Mal … Hast du wirklich nicht gemerkt, dass sie eine Njawka war? Eine Untote?«
    Ein Wort wie ein achtlos geschleudertes Messer. Wie ein niedersausendes Beil.
    »Nein, sie war ein Mensch«, sagte er mit Flüsterstimme. Als die Tschugeister daraufhin grinsten, glichen sie einander wie Brüder.
    »Das ist der verbreitetste Fehler«, sagte der Größere bedächtig. »Die Menschen sehen häufig Menschen in ihnen. Sie haben sogar Angst, sie uns zu übergeben. Als würden wir sie quälen … Dabei sind sie Untote, mein Junge. Sie sind Njawken. Leere Hüllen von Menschen, angefüllt mit … äh … dickem Nebel. Wenn wir den Nebel töten, fällt die Hülle in sich zusammen. Das sind keine Menschen. Wie soll ich dir das erklären? Es ist, als ob dein Mörder in der Maske einer schönen Frau zu dir käme. Oder, noch schlimmer, in der Maske deiner Mutter …«
    Klaw wollte sich hinsetzen. Gleich hier, auf den feuchten Asphalt.
    Klaw wollte schreien: Das ist gelogen! Was soll das heißen?! Mörder?! Wenn hier einer ein Mörder ist, dann ihr!
    Aber er sagte kein Wort, sondern verschloss mit einer billigen, stinkenden Zigarette seinen Mund.

5
    »Geh rein!«
    Ywha blinzelte im Licht, das sie jäh überflutete. Aus irgendeinem Grund hatte sie erwartet, hier Schmutz und ausgebleichte Tapeten vorzufinden. Vermutlich lag das an dem Eindruck, den der dunkle, verdreckte Hauseingang auf sie gemacht hatte. Doch schon der Flur der Wohnung war sauber und ordentlich, sogar geschmackvoll. Das einzige Manko war seine enorme Enge.
    Halt, nein, da gab es noch etwas, das negativ auffiel. Ywha zog die Nase kraus, als sie den kaum wahrnehmbaren Geruch einer leeren Wohnung roch.
    »Nur zu, geh durch, sonst treten wir uns gegenseitig auf die Füße.«
    Die massive Garderobe war leer. Als Ywha die Schlaufe ihrer Jacke über einen geschwungenen Kupferhaken schob, durchlief sie ein Zittern.
    »Ist das … Wohnt hier niemand?«
    »Manchmal wohne ich hier.« Aus dem Schuhschrank holte der Inquisitor ein Paar Hausschuhe für Frauen. »Manchmal auch niemand … Hier, probier die mal an.«
    Die Hausschuhe waren fast neu. Ywha zögerte. Es kam nur selten vor, dass sie fremde Sachen anzog, und jedes Mal fühlte sie sich dabei nicht so recht wohl. Immer meinte sie, die bisherigen Träger hätten einen Teil von sich darin gelassen. Die Wärme ihres Körpers vielleicht oder ihren Schatten.
    Der Inquisitor blickte zu ihr hinüber, schien etwas sagen zu wollen, zog sich dann aber schweigend ins Wohnzimmer zurück. Ohne noch länger darüber nachzugrübeln, schlüpfte Ywha schließlich in die Hausschuhe, die ihr nur ein wenig zu groß waren.
    Das Zimmer passte zum Flur. Ein ordentlicher, gediegen eingerichteter Raum, der jedoch erstaunlich klein war. Zwei weiche Sessel und ein Bücherschrank füllten ihn fast ganz aus, nur die Decke und ein schmaler Gang für einen Läufer blieben noch frei. Auf den Büchern lag Staub, dessen Geruch Ywha nicht entging.
    »Hier macht niemand sauber«, erklärte der Inquisitor unerschüttert. »Wenn es dir gefällt, bleib hier. Im Bettkasten ist frische Bettwäsche, im Bad gibt es Warmwasser. Du kannst alles benutzen. Leg danach aber alles wieder an seinen Platz zurück.«
    »Gehört diese Wohnung … auch Ihnen?«
    »Letztlich … schon«, gab der Inquisitor mit gerunzelter Stirn zu, als bekümmere ihn ihre Begriffsstutzigkeit. »Ja, in gewisser Weise gehört mir diese Wohnung auch … Lebensmittel sind in der Tasche da. In der Küche gibt es einen Kühlschrank, Geschirr und Konserven. Wenn du willst, mach dir etwas zu essen. Das Telefon steht im Schlafzimmer, du kannst es ruhig benutzen. Eine Bedingung gibt es allerdings, Ywha. Verlass die Wohnung nicht. Nicht einmal, wenn ein Feuer ausbricht.«
    Sie rang sich ein Lächeln ab. »Also, falls es brennen sollte, würde ich es vermutlich schon tun.«
    Er lächelte nicht zurück. »Nein«, sagte Klawdi entschieden. »Wenn ich könnte, würde ich dich ohne viel Federlesens einschließen. Aber da dieses Gebäude als Wohnung und nicht als Gefängnis geplant war, ist das einzige Schloss dein gesunder Menschenverstand. Also, Ywha …«
    Seine Augen funkelten entschlossen. Ywha

Weitere Kostenlose Bücher