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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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hatte den Eindruck, ein Eisenreifen ziehe sich enger und enger um ihren Kopf zusammen.
    »Eins solltest du wissen.« Der Inquisitor wandte sich von ihr ab. »Indem ich meinem Freund Mytez diesen Gefallen erweise, tue ich etwas, das ich eigentlich nicht tun dürfte. Aber wenn dich eine Patrouille aufgreift – und ich hoffe sehr, dass genau das passiert, solltest du dir einfallen lassen, durch die Stadt zu streifen –, kämst du wie alle anderen ins Gefängnis. Damit geht die Welt noch nicht unter – aber genau das wolltest du ja wohl vermeiden, oder?«
    »Ich … ja.« Ywha nickte heftig. »Danke, ich werde nicht …«
    »Hätten wir das also geklärt.« Der Inquisitor war es offenbar leid, sich ihre wirren Dankesbekundungen anzuhören. »Hier kommt niemand her, du bist hier absolut sicher. Verhalte dich also bitte ruhig, Ywha. Bis später.«
    »Auf Wiedersehen«, presste sie heraus.
    An der Fensterscheibe, die seit Langem nicht geputzt worden war, rannen die letzten Tropfen des Regens herunter. Sie lehnte die heiße Stirn gegen das Glas und beobachtete, wie der Mann in dem langen dunklen Mantel das Haus verließ. Ohne jede Hast durchquerte er den kleinen, tristen Innenhof. Obwohl sein krokodilgrünes, extravagantes Auto wie ein Gast wirkte, der sich zufällig in diese Gegend verirrt hatte, lockte er die kleine Kinderschar nur kurz von ihrer Schaukel weg. Sobald die Kleinen ihre Neugier befriedigt hatten, kehrten sie zu ihrem Vergnügen zurück. Offenbar hatte Klawdi Starsh vor diesem bescheidenen Haus nicht zum ersten Mal seinen nicht ganz so bescheidenen Graf geparkt. »Ja, in gewisser Weise gehört mir diese Wohnung auch .«
    Die Stille in den leeren Räumen legte sich schwer auf sie. Ywha stand am Fenster, sah dem abfahrenden Auto nach, seufzte, zog die verstaubte Gardine vor, umrundete auf Zehenspitzen den Sessel und spähte durch die schmale Tür ins Schlafzimmer.
    Natürlich!
    Was war sie doch für eine Idiotin! Eine Vollidiotin geradezu! Wie waren die Hausschuhe einer Frau denn wohl sonst zu erklären?!
    Angewidert starrte Ywha auf die eigenen Füße. Anschließend richtete sie den Blick noch einmal auf das riesige Doppelbett, das zwei Drittel des engen Schlafzimmers einnahm.
    Ein einsamer, alleinstehender Mann, ohne jede Beziehung. Auf dem Gipfelpunkt seiner Karriere, ganz oben auf der gesellschaftlichen Leiter angelangt, wird er seine – pardon! – Weiber nicht in seine offizielle Wohnung am Platz des Siegreichen Sturms mitschleppen. Natürlich verfügt er über ausreichende finanzielle Mittel, um für seine Rendezvous eine kleine Wohnung zu unterhalten, ein Mittelding aus Privatbordell und Hotel.
    Ywha seufzte. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, setzte sich und ließ den Hinterkopf gegen die weiche und staubige Lehne des Sessels fallen. Ihre Gedanken, in denen es bis eben nur für bittere Überlegungen bezüglich der Unmöglichkeit einer Flucht Raum gegeben hatte, nahmen unvermutet eine völlig neue, nicht ganz angemessene Richtung.
    Vielleicht sollte sie auch mal in den Schrank schauen? Oder unters Bett? Dort fände sie ja womöglich einen Kamm, den eine der Damen vergessen hatte. Mit zwei langen, verknoteten Haaren zwischen den Zinken. Und auf dem Regal im Bad dürfte mit Sicherheit ein alter, vor Urzeiten verloren gegangener teurer Lippenstift liegen, an dessen perlmutternem Körper sich noch die Spuren eines fremden Mundes erkennen ließen. Ja, vielleicht fand sie sogar Wäsche, halbtransparent und achtlos in den Schrank gestopft.
    Voller Verachtung presste sie die Lippen aufeinander. Wie pervers ein solches Leben doch war! Ein Mann, der Zufallsbekanntschaften aufgabelte! Ekelhaft! Allerdings: So zufällig dürften sie wohl nicht sein, diese Bekanntschaften. Schließlich würde der Großinquisitor ja wohl kaum seine Gesundheit oder seinen guten Ruf riskieren. Ob ihm sein Büro die Frauen besorgte?
    Ywha verzog das Gesicht, als hätte sie auf etwas Verfaultes gebissen. Warum zerbrach sie sich eigentlich darüber den Kopf? Über all diese Schweinereien, die sie selbst im schlimmsten Fall nicht zu interessieren brauchten? Und im besten Fall existierten sie, diese Schweinereien, nur in ihrer Phantasie.
    Womit allerdings auch ihre Phantasie einigermaßen versaut wäre. Aber schließlich handelte es sich bei ihr ja auch um eine junge, versaute Hexe! Wie weit ihre Phantasie wohl gehen würde?
    Möglicherweise holte er sich in dieses Bett sogar ausschließlich junge, versaute und frisch geschnappte

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