Das Jahrhundert der Hexen: Roman
es nicht sofort dazu kommen. Das verstehst du doch, oder, Ywha? Schließlich wolltest du Nasar doch nicht verletzen? Natürlich geht mich das nichts an. Aber solche Probleme löst man nicht von heute auf morgen. Er schmollt jetzt …« In der Stimme schwang ein Tadel mit. »Aber ich glaube, wenn er erst mal über alles nachgedacht hat … Dann wird er auch selbst in der Lage sein, dir zu sagen … äh … Ywha? Hörst du mir noch zu?«
Klawdi hielt der Frau den Hörer hin. Ywha wandte sich ab, um stur ihr Gesicht zu verbergen. Ihre Stimme klang jetzt allerdings wieder fest. »Ja«, sagte sie, nachdem sie tief Luft geholt hatte. »Natürlich, Sie haben recht.«
Bevor ihre Hand die Gabel erreichte, fing Klawdi sie ab. Das Gelenk war schmal und hart wie ein Ast.
»Ja, Jul«, ergriff er sorglos das Wort, nachdem er sich den Hörer zurückerobert hatte. »Du siehst, ich habe mein Versprechen gehalten. Darf ich wissen, worauf ihr euch geeinigt habt?«
Eine Pause. Offenbar hatte Professor Mytez nicht mit einem derart abrupten Wechsel der Gesprächspartner gerechnet.
»Also, Klaw, ich wusste ja nicht, dass sie bei dir … Also kurz und gut, wir haben vereinbart, Nasar Zeit zum Nachdenken zu geben. Und dann, wenn er sich wieder gefangen hat …«
»Und wann wird das sein?«, fragte Klawdi scheinheilig.
»Also …« Mytez rückte nicht gleich mit einer Antwort heraus. »In einer Woche … vielleicht in zwei …«
»Jul!« Klawdi bemerkte selbst, wie sich seine gelassene Stimme veränderte, wie sich eisenharte Untertöne hineinmischten. »Das Mädchen sitzt bis über beide Ohren in der Tinte. Sie hat kein Dach überm Kopf und ist nicht registriert. Hexen, die sich nach Erlass meines letzten Befehls nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden registrieren lassen …«, er warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr, »… werden in Beugehaft genommen. Jetzt sag mir bitte klipp und klar, ob ihr, du und Nasar, die Verantwortung für Ywha übernehmt! Und zwar von dieser Sekunde an! Oder soll ich eine Streife rufen, die sie aufs Revier bringt?«
Ywha zitterte am ganzen Leib. Ohne sie anzusehen, fasste er nach ihrer Schulter.
»Jul, lass mich kurz mit Nasar sprechen«, bat er in den verzweifelt schweigenden Hörer.
»Er schläft«, antwortete der Professor tonlos. »Der Junge nimmt seit drei Tagen Schlaftabletten. Wenn du glaubst, er leide nicht … ihm mache das nichts aus … Schließlich warst du derjenige, der …«
Mytez kam in Fahrt. Klawdi schloss die Augen. »Das verstehe ich doch, Jul«, sagte er mit einer um Ruhe und Sanftmut bemühten Stimme. »Aber wir leben leider in einer Welt, in der es außer Hexen noch eine Menge anderer hässlicher Sachen gibt. Ich mache niemandem einen Vorwurf. Daher sag mir als deinem Freund einfach ganz ruhig: Nehmt ihr das Mädchen jetzt auf? Bürgt ihr für sie? Oder nicht?«
»Klaw!« Mytez' Stimme klang erschöpft und bittend. »Könntest du … dir nicht etwas einfallen lassen? Ich bitte dich, Klaw! Als Freund. Lass dir etwas einfallen!«
Schweigend hörte Klaw, wie Professor Julian Mytez am anderen Ende schwer und ungleichmäßig atmete.
Jul ist nicht gut beieinander, dachte er. Das Alter macht sich früh bemerkbar, Sport treibt er nicht, spazieren geht er auch nicht, dabei hat er das Haus auf dem Land. Oder nahm ihn das Ganze wirklich so mit? Verlor er die Nerven?
»In Ordnung, Jul«, sagte Klawdi fast aufgeräumt. »Aber ihr solltet auch zusehen, zu einer Entscheidung zu kommen, ja?«
Vermutlich nickte Mytez am anderen Ende, völlig vergessend, dass er nicht zu sehen war. »Ja, Klaw, natürlich … Danke. Das ist eine verzwickte Angelegenheit … Danke … Also dann … Lass dir was einfallen …«
»Hm.« Klawdi konnte nichts dagegen tun: Er nickte ebenfalls. »Mach's gut.«
»Mach's auch gut, mein Freund.«
Er stellte das Telefon an seinen Platz und stupste die Schnur mit dem Fuß unter den Tisch.
»Stecken Sie mich jetzt ins Gefängnis?«, fragte Ywha tonlos.
»Ich weiß es nicht«, gab Klawdi ehrlich zu. »Ich glaube, es würde dir dort nicht gefallen.«
Die Lippen der jungen Frau verzogen sich trotzig. » So werde ich nicht leben. Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt zu Ihnen gekommen bin. Und worauf …«
Worauf ich gehofft habe, hatte sie sagen wollen, aber sie wollte den Satz nicht mit weinender Stimme beenden – daher blieb er unvollendet.
»Noch vor einer Woche«, sagte Klawdi, »hätte ich dich guten Gewissens irgendwo untergebracht … bei Freunden,
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