Das Janson-Kommando: Thriller (German Edition)
46Street
Paul Janson stieg die steile Treppe zu Sofia’s Club Cache im Keller des Hotel Edison hinunter. Die lockige brünette Schönheit kassierte die fünfzehn Dollar Eintrittsgeld mit einem strahlenden Lächeln. Sie sah ihn so, wie er gesehen werden wollte: ein Geschäftsreisender, der mit dem heißen Jazz von Vince Giordano und seinen berühmten Nighthawks ein bisschen Leben in seinen einsamen Montagabend bringen wollte. Sein marineblauer Anzug war so geschnitten, dass er seine muskulöse Statur verbarg, und wirkte weder besonders elegant noch teuer. Die Falten auf seiner Stirn zeigten, dass er nicht mehr in den Dreißigern war, obwohl sein Alter schwer zu schätzen war. Die Narben konnten vom Sport in der Collegezeit stammen.
Janson nahm das Wechselgeld mit einem höflichen Lächeln entgegen und bemerkte, wie wahrscheinlich viele andere Besucher: »Tolle Stimmung hier.«
Am anderen Ende des großen niedrigen Raums lieferte die elfköpfige, in Smokings herausgeputzte Band mit Saxofonen, Klarinetten, Trompeten, Posaune, Banjo, Klavier, Schlagzeug und Kontrabass eine sprühende Darbietung von »Shake That Thing«. An die hundert Leute aßen und tranken an ihren Tischen. Etwa ein Dutzend Paare tanzte zur Musik, einige durchaus gekonnt. Die Tänzer über dreißig trugen Kleider und Anzüge, die zur Hot-Jazz-Ära passten. Die Jüngeren bevorzugten T-Shirts und Cargohosen.
Eine der jüngeren Tänzerinnen, eine attraktive Frau mit markanten, regelmäßigen Gesichtszügen, hohen Backenknochen, vollen Lippen und brauner Igelfrisur tanzte in Höchsttempo einen Onestepp aus den Zwanzigerjahren mit der Dynamik und Präzision einer Laserschneidmaschine. Janson konnte sich ein anerkennendes Lächeln nicht verkneifen. Jessica Kincaids Motto war stets: »Mach Tempo, bis es wehtut, und dann leg noch mal einen Zahn zu.«
Jessica warf Janson einen kurzen Blick zu, in dem Faszination und eine Spur Neid lagen. Paul Janson war der Meister des Unscheinbaren, und das machte sie manchmal verrückt. Sie arbeitete hart daran, sich die Fähigkeiten eines Chamäleons anzueignen. Mit entsprechender Kleidung, Frisur, Schmuck und Make-up konnte sie, je nach Bedarf, wie fünfundzwanzig oder fünfunddreißig aussehen und als Videokünstlerin aus Brooklyn ebenso auftreten wie als Barkeeperin einer kleinen Spelunke oder als Bankerin. Doch nie schaffte sie es, völlig unscheinbar zu wirken, und wenn sie es versuchte, lachte Janson bloß und erklärte ihr, »unscheinbar« und »interessant« schlössen sich für gewöhnlich aus.
Er selbst hingegen war einfach nur da. Er konnte sich mitten in der Menge verstecken. Wenn er wollte, konnte er einen Raum mit seiner Präsenz beherrschen, doch meistens trat er ein, ohne dass jemand Notiz von ihm nahm – so wie diesmal –, und genauso unbemerkt pflegte er auch zu verschwinden. Mit einem ganz eigenen Trick veränderte er seine Haltung so, dass er nur noch mittelgroß wirkte. Sie schaute erneut zu ihm hinüber. Diesmal erwiderte er ihren Blick, drehte sich um und ging zur Treppe.
»Ich muss weg«, teilte sie ihrem Tanzlehrer mit. Die Pflicht rief.
Das Town Car unterschied sich in nichts von den vielen schwarzen Miettaxis der Stadt. Doch der Junge am Lenkrad hatte früher im Irak Truppentransportpanzer gefahren, und die Innenbeleuchtung ging nicht an, als Jessica die Tür öffnete.
»Wohin fahren wir?«, fragte sie Janson, dessen Umrisse im Dunkeln kaum zu erkennen waren.
»Zuerst nach Houston, Texas. In die Zentrale der American Synergy Corporation.«
»Die größte Ölfirma des Landes. Hat besonders nach dem BP-Desaster im Golf von Mexiko gute Geschäfte gemacht. Und danach?«
»Möglicherweise nach Westafrika. Falls wir den Job übernehmen. Wenn nicht, dann nach Hause. Wahrscheinlich werden wir’s nicht tun.«
»Warum fahren wir dann überhaupt hin?«
»Der Sicherheitsdirektor von ASC ist ein alter Freund von mir.«
Jessica Kincaid nickte im Dunkeln. Janson hatte viele alte Freunde, und wenn ihn einer rief, dann kam er. Er reichte ihr ein dickes Handtuch. »Erkälte dich nicht.« Sie war schweißnass von ihrem schwindelerregenden Tanz und zitterte ein wenig.
»Willste damit sagen, ich stinke?« Jessie sprach zwar mehrere Sprachen fließend und besaß die wertvolle Gabe, Akzente nachzuahmen, doch den näselnden Dialekt aus den Hügeln von Kentucky, ihrer Heimat, hörte man stets leicht heraus, vor allem wenn sie mit Janson allein war.
»Dafür haben wir ja eine Dusche im Flugzeug.«
Der
Weitere Kostenlose Bücher