Das Janus-Monster
ihm. Ich zählte seine Schritte im Geiste mit, ich schaute dabei auch zur Seite, um immer wieder mal die Entfernung zum Ofen zu schätzen.
Er ging den nächsten Schritt. Pendelte nach links.
Das war für mich schlecht. Ich kümmerte mich auch nicht um die Hitze, obwohl mir meine Haut vorkam, als würde sie immer stärker angesengt. Das musste ich einfach aushalten.
Der nächste Schritt des Janus-Monsters. Die Bewegung nach rechts.
Damit näher an den Ofen heran.
Da packte ich zu!
Was in den folgenden Sekunden geschah, bekam ich nicht mehr so mit, wie es hätte sein müssen. Ich handelte einfach nur reflexartig. Die Tätigkeit meines Gehirns schien ausgeschaltet zu sein.
Beide Hände stemmte ich gegen die linke Seite der Gestalt. Dabei drückte ich mit aller Kraft zu und hoffte, dass Kato weiter taumelte und nicht vor der Öffnung stolperte.
Mein Wunsch erfüllte sich. Es war beinahe wie im Märchen, als die böse Hexe Hänsel und Gretel in den Backofen hatte schieben wollen.
Ich fühlte mich wie Hänsel, und Kato war in diesem Fall die Hexe.
Er taumelte auf die Öffnung zu, während ich zurücksprang. Ich hatte all meine Kräfte eingesetzt und konnte jetzt nur hoffen, dass sie auch gereicht hatten. Kato fiel gegen, nein, er fiel in die Öffnung hinein. Er streifte nur den oberen Rand kurz mit seinem Kopf, wobei der Schwung nicht gestoppt wurde. Dann fiel er rücklings und auch seitwärts zugleich in das Feuerloch hinein.
Ich war so weit zurückgesprungen, dass mich die Hitze nicht mehr zu stark erwischte. Aus dieser sicheren Entfernung schaute ich zu, was mit Kato passierte.
Dem Feuer war es egal, welche Nahrung es bekam. Ob Holz, Papier, Lumpen oder Menschen, es fraß alles. In diesem Fall auch ein Monster, das Kato hieß.
Ob er Schmerzen spürte, war für mich nicht feststellbar. Ich hörte zumindest keine Schreie, kein Stöhnen. Selbst der nach hinten gefallene Körper zuckte nicht durch seine Bewegungen, es war der Widerschein des Feuers, der dies so aussehen ließ.
Aber Kato gab nicht auf. Er kam wieder hoch. Steif richtete er sich dabei auf, als wollte er das große Ofenloch verlassen.
Nein, das schaffte er nicht mehr. Das Janus-Monster war bereits zu einer glühenden Masse geworden, die allmählich verglühte, und auch die lange Hornhaut an seinen Fingern blieb nicht verschont. Die Spitzen lösten sich auf. Sie wurden zu Klumpen und dann zu Tropfen, die abfielen.
Sein schon von Glut erfülltes Gesicht bewegte sich noch einmal. Es verzerrte sich zu einer unbeschreiblichen Fratze, aus der mir all der Hass entgegenströmte, zu dem Kato fähig gewesen war.
Dann kippte er plötzlich wieder zurück. Er prallte auf, und genau durch diese Wucht wurde sein Körper zerstört. Er zerfiel in einem wahren Regen von Glut. Nicht einmal Rauch stieg aus den Resten hervor in den Abzug des Ofens hinein.
Ich drehte mich um. Ich konnte zufrieden sein. Das Janus-Monster gab es nicht mehr, aber vier Menschen hatten einen verdammt hohen Preis dafür zahlen müssen.
Über drei Tote stieg ich hinweg, als ich den Raum betrat, der zu unserem Schicksal hatte werden wollen.
»Gratuliere!« hörte ich Shaos Stimme. »Du hast es geschafft, John.«
Ich winkte ab. »Es war Glück, nicht mehr.«
»Komm her!«
Shao wartete auf mich. Sie umarmte mich, bis es Suko zu lange dauerte und er sich darüber beschwerte. »Zu wem gehört Shao denn nun? Zu dir oder zu mir?«
»In diesem Fall zu uns beiden«, sagte ich und lachte.
»Warte nur, bis ich wieder laufen kann. Dann werde ich dir die richtige Antwort schon geben.«
Ich ging zu Suko. Er saß auf dem Boden. Akina hockte neben ihm. Sie hatte ihre Bluse ausgezogen und ihm das Bein verbunden. Trotzdem brauchte er so rasch wie möglich einen Arzt.
»Wie hast du es geschafft, John?«
»Ich nicht, Suko. Es ist das Feuer gewesen.« Mein Lächeln nach diesen Worten fiel gedankenverloren aus. »In diesem Fall kann man wirklich von einem reinigenden Feuer sprechen…«
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Taschenbuch Nr. 73 201 »Shaos Todeswelt«
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