Das Janusprojekt
stupsnasige .38er Smith & Wesson J-Frame mit Gummigriffschalen. Die kannte ich noch aus Dachau. Ferner eine Michelin-Deutschlandkarte. Eine Gedenkpostkarte zu Goethes zweihundertstem Geburtstag. Eine amerikanische Ausgabe der Goebbels-Tagebücher. Ein Hotelführer für Norditalien. In dem Hotelführer, im Mailand-Teil, steckte der Auszahlungsbeleg eines Juweliergeschäfts. Der Juwelier hieß Primo Ottolenghi, und der Beleg ging über zehntausend Dollar. Es schien eine gerechtfertigte Annahme, dass Jacobs die in meinem Garten ausgegrabenen jüdischen Wertsachen in Mailand verkauft hatte, zumal der Beleg etwa eine Woche nach seinem Aufenthalt in meinem Hotel ausgestellt war. Außerdem fand ich ein Schreiben des Rochester Strong Memorial Hospital im Staat New York, das eine Liste medizinischer Gerätschaften enthielt, die via Rhein-Main Air Base nach Garmisch-Partenkirchen geliefert worden waren. Und da war ein Notizblock. Das oberste Blatt war leer, aber ich konnte erkennen, dass sich das, was auf das vorherige Blatt geschrieben worden war, durchgedrückt hatte. Ich riss die obersten Blätter heraus, in der Hoffnung, dass ich später durch Schraffieren wieder erkennbar machen könnte, was Jacobs da geschrieben hatte.
Alles Übrige steckte ich wieder ins Handschuhfach, schloss die Klappe und schaute dann auf den Rücksitz. Da lagen Exemplare der Pariser Ausgabe des Herald und der Süddeutschen Zeitung sowie ein zusammengerollter Schirm. Sonst nichts. Es war nicht viel, aber ich wusste jetzt doch immerhin etwas mehr über Jacobs als vorher. Ich wusste, dass in Sachen Pistolen nicht mit ihm zu spaßen war. Ich wusste, wo er höchstwahrscheinlich den Familienschmuck verhökerte. Und ich wusste, dass er sich für den Giftzwerg interessierte. Und an guten Tagen vielleicht auch für diesen Kraut Goethe. Das war immerhin ein Anfang.
Ich stieg aus dem Buick, machte die Fahrertür leise zu und marschierte, mich immer links der Loisach haltend, nach Nordosten, Richtung Sonnenbichl, wobei ich eine Abkürzung über das Gelände des ehemaligen Krankenhauses nahm, das jetzt in ein Erholungsheim für amerikanische Militärangehörige umgewandelt wurde.
Ich dachte daran, nach München zurückzukehren und die Fäden meiner beruflichen Tätigkeit wieder aufzunehmen. Ich befand, dass ich in Ermangelung neuer Kunden ja noch einmal schauen könnte, ob sich nicht doch eine Spur meiner letzten Kundin finden ließ. Vielleicht würde ich nochmal in die Heilig-Geist-Kirche gehen, in der Hoffnung, dass sie dort auftauchte. Oder mit dem armen Felix Klingerhoefer bei American Overseas Airlines reden. Vielleicht fiel ihm ja doch noch irgendwas zu Britta Warzok ein, außer dass sie aus Wien war.
Der Fußmarsch zum Haus Mönch dauerte länger, als ich erwartet hatte. Ich hatte nicht bedacht, dass es über weite Strecken, ja, fast den gesamten Weg, bergauf ging, und selbst ohne Rucksack war ich alles andere als ein fröhlicher Wandersmann. Schließlich schleppte ich mich ins Haus, kroch auf mein Bett, schnürte meine Schuhe auf und schloss die Augen. Mir blieben nur wenige Minuten, bis Engelbertina merkte, dass ich zurück war, und zu mir kam. An ihrem Gesicht sah ich sofort, dass etwas nicht stimmte.
«Erich hat ein Telegramm bekommen», erklärte sie. «Aus Wien. Seine Mutter ist gestorben. Er ist ziemlich fertig deswegen.»
«Ach? Ich dachte, sie hätten sich gehasst.»
«Haben sie auch», sagte sie. «Ich glaube, das ist ja gerade das Problem. Jetzt ist ihm klargeworden, dass es zwischen ihnen keine Versöhnung mehr geben wird. Nie.» Sie zeigte mir das Telegramm.
«Ich glaube nicht, dass ich sein Telegramm lesen sollte», sagte ich und las es trotzdem. «Wo ist er jetzt?»
«In seinem Zimmer. Er hat gesagt, er will einfach nur allein sein.»
«Das kann ich verstehen», sagte ich. «Das ist was anderes, als eine Katze zu verlieren.»
Engelbertina lächelte traurig und nahm meine Hand. «Hast du eine Mutter?»
«Natürlich hatte ich mal eine», sagte ich. «Einen Vater auch, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Nur dann habe ich sie irgendwo unterwegs beide verloren. Sehr unachtsam von mir.»
«Ich auch», sagte sie. «Das ist noch was, was wir gemeinsam haben, was?»
«Ja», sagte ich nicht sonderlich enthusiastisch. Aus meiner Sicht hatten wir hauptsächlich schöne Stunden im Schlafzimmer gemeinsam. Ich sah mir das Telegramm nochmal an. «Das klingt, als hätte er ein beträchtliches Vermögen geerbt», sagte ich.
«Ja, aber
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