Das Janusprojekt
auszugeben. Wer hätte schon Verdacht schöpfen sollen? All diese deutschen Kriegsgefangenen waren für medizinische Experimente benutzt worden. Genau wie die achthundert amerikanischen Häftlinge. Und natürlich all diese Menschen in Dachau und Majdanek. Es schien unglaublich, aber die Menschenversuche, für die die sieben Nazi-Ärzte in Landsberg gehängt worden waren, wurden immer noch fortgesetzt, jetzt unter dem Schutz der CIA. Was für eine unfassbare Heuchelei.
36
In der Alserstraße im Neunten Bezirk war ein Auslandstelefon- und -telegraphenamt. Ich ging zu einem der Beamten. Er hatte eine Nase wie ein Windsack, und sein Haar war irgendwie dachsfarben – oben grau und darunter dunkler. Ich gab ihm die Nummer in Garmisch, erstand ein Kilo Münzen und betrat die Telefonzelle, die er mir anwies. Ich rechnete nicht wirklich damit, dass das Gespräch durchkommen würde, aber den Versuch war es immerhin wert. Während ich auf die Verbindung wartete, legte ich mir zurecht, was ich sagen würde. Ich hoffte, ich würde es mir verkneifen können, eine Menge Ausdrücke zu benutzen, die wir an der Ostfront benutzt hatten. Ich saß etwa zehn Minuten in der Zelle, ehe das Telefon klingelte und der Herr vom Amt mir mitteilte, es klingle jetzt am anderen Ende. Nach ein paar Sekunden wurde abgenommen, und ich hörte eine ferne Stimme. Garmisch war nur fünfhundert Kilometer entfernt, aber ich malte mir aus, wie das Gespräch über die Telefonzentrale in Linz ging, das in der russischen Besatzungszone lag, und von dort über Salzburg (in der amerikanischen Zone) und Innsbruck (in der französischen) weitergeleitet wurde. Die Franzosen galten als die ineffizienteste der vier Mächte, und die schlechte Verbindung war vermutlich ihre Schuld. Doch als ich Erich Grüns Stimme erkannte, begann ich, den Apparat mit Zehngroschenstücken zu füttern, und nach fünfzehn oder zwanzig Sekunden konnten wir miteinander sprechen. Grün schien aufrichtig erfreut, von mir zu hören.
«Bernie», sagte er. «Ich hatte schon gehofft, dass Sie anrufen würden, damit ich Ihnen sagen kann, wie leid es mir tut, dass Sie so in der Klemme sitzen. Ich bedaure es wirklich.»
«In der Klemme», sagte ich. «Nennen Sie’s so, wenn Sie dafür sorgen, dass ein anderer den Kopf in die Schlinge steckt, die für Sie bestimmt ist?»
«Ich fürchte, es geht nicht anders, Bernie», sagte er. «Wissen Sie, ich kann kein neues Leben in Amerika beginnen, solange Erich Grün nicht offiziell tot ist oder für seine sogenannten Kriegsverbrechen im Gefängnis sitzt. Darüber können Sie sich bei Jacobs beschweren. Er sagt, die CIA lässt sich auf nichts anderes ein. Wenn je herauskäme, dass sie einen Naziarzt ins Land gelassen haben, wäre die Hölle los. So einfach ist das.»
«So weit ist es mir ja klar», sagte ich. «Aber warum mussten zwei unschuldige Frauen sterben, wenn Sie nichts weiter wollen, als dass ich den Kopf für Sie hinhalte? Sie oder Jacobs oder wer auch immer der Ami ist, der hier in Wien die Drecksarbeit für Sie macht, hätte doch einfach dafür sorgen können, dass ich im Hotel verhaftet werde.»
«Und wenn wir es so gemacht hätten? Denken Sie doch mal nach, Bernie. Sie hätten ihnen erklärt, sie seien Bernie Gunther. Auch ohne Pass hätten Sie die alliierten Behörden vermutlich dazu gebracht, Ihre Geschichte zu überprüfen und herauszufinden, wer Sie wirklich sind. Nein, wir mussten dafür sorgen, dass Bernie Gunther nirgends mehr hinkann. Und mit ‹nirgends› meine ich nirgends. Bei der Planung Ihres nächsten Schritts sollten Sie das bedenken, Bernie. Auf Mord, insbesondere auf so abscheuliche Morde, wie Sie sie begangen haben, steht die Todesstrafe. Sie werden Bernie Gunther hängen, wenn sie ihn schnappen. Aber Erich Grün könnte, je nachdem, wer ihn schnappt, mit lebenslänglich davonkommen. Und so wie sich die Dinge momentan in der Bundesrepublik entwickeln, sind Sie wahrscheinlich in weniger als zehn Jahren wieder draußen. Vielleicht sogar schon in fünf. Sie sitzen meine Strafe ab, und wenn Sie herauskommen, haben Sie ein hübsches Sümmchen auf der Bank. Wenn Sie mal überlegen, Bernie, müssen Sie doch zugeben, dass ich bemerkenswert großzügig war. Ich meine, Sie haben doch das Geld? Fünfundzwanzigtausend Schilling in petto zu haben, wenn Sie aus Landsberg herauskommen, ist doch nicht schlecht, oder? Im Ernst, Bernie, ich hätte Sie auch ohne einen Groschen da sitzenlassen können.»
«Wirklich sehr großzügig von
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