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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Garmisch spielen. Ich glaube, Ihr Deutschen habt dafür kein Wort. Wie nennen das ein Kängurugericht. Fragen Sie mich nicht, warum. Aber was es bezeichnet, ist ein inoffizielles Gericht, das sich nicht an die üblichen juristischen Verfahrensweisen hält. Die Israelis nennen das Nakam-Gericht. Der Name heißt so viel wie ‹Rache›. Verstehen Sie? Ein Gericht, wo Urteil und Vollstreckung nur ein, zwei Minuten auseinanderliegen.» Er ruckte mit seiner Pistole. «Aufstehen, Gunther.»
    Ich stand auf.
    «Jetzt um den Schreibtisch herumkommen, raus in den Gang und immer schön vor mir hergehen.»
    Er schob sich rückwärts zur Tür hinaus, während ich auf ihn zuging. Ich betete um irgendeine Ablenkung von außen, die ihn veranlassen würde, eine halbe Sekunde den Blick von mir zu wenden. Aber das wusste er natürlich. Und er würde gewappnet sein.
    «Ich werde Sie an einem Plätzchen einsperren, wo es schön warm ist», sagte er. «Die Tür da aufmachen und runtergehen.»
    Ich tat weiterhin genau, was er sagte. Ich fühlte, wie die Achtunddreißiger zwischen meine Schulterblätter zielte. Aus einem guten Meter Entfernung hätte das Geschoss meinen Körper glatt durchschlagen und ein Loch von der Größe eines Zweischillingstücks hinterlassen.
    «Und wenn Sie da drin sitzen», sagte er, während er hinter mir die Kellertreppe herunterkam und unterwegs Licht anknipste, «werde ich ein paar Leute in Linz anrufen. Freunde von mir. Einer war mal bei der CIA. Aber jetzt ist er beim israelischen Geheimdienst. So möchten die sich jedenfalls selbst sehen. Auftragsmörder, würde ich sie bezeichnen. Und als solche werde ich sie einsetzen.»
    «Ich nehme an, die haben auch die echte Frau Warzok umgebracht», sagte ich.
    «Der würde ich keine Träne nachweinen, Gunther», sagte er. «Nach dem, was sie getan hat? Sie hat es doch nicht besser verdient.»
    «Und Grüns frühere Freundin, Vera Messmann?», sagte ich. «Haben sie die auch umgebracht?»
    «Klar.»
    «Aber sie war keine Verbrecherin», sagte ich. «Was haben Sie denen über sie erzählt?»
    «Dass sie Wärterin in Ravensbrück war», sagte er. «Das war eine Ausbildungsstätte für SS-Aufseherinnen, schon gewusst? Die Briten haben etliche dieser Frauen aus Ravensbrück gehängt – Irma Grese war gerade mal zwanzig –, aber einige sind entkommen. Ich habe der Nakam erzählt, Vera Messmann hätte immer ihre Wolfshunde auf Juden gehetzt, damit sie sie in Stücke rissen. Solche Sachen. Das meiste, was ich denen an Informationen zukommen lasse, stimmt. Ab und zu schmuggle ich mal jemanden dazwischen, der gar kein echter Nazi ist. Jemanden wie Vera Messmann. Und jetzt Sie, Gunther. Die werden sich richtig freuen, dass sie Sie endlich kriegen. Sie sind schon lange hinter Erich Grün her. Deshalb werden sie auch im Besitz aller relevanten Unterlagen sein, die beweisen, dass Sie Grün sind. Nur für den Fall, dass Sie dachten, Sie könnten sich da irgendwie herausreden. Ein öffentlicher Prozess vor einem alliierten Gericht wäre natürlich eine klarere Sache gewesen. Aber der deutsche Staat unternimmt nicht gerade große Anstrengungen, Kriegsverbrecher aufzuspüren. Nicht mal die Alliierten tun es. Wir haben andere Sorgen. Zum Beispiel die Kommunisten. Nein, die Einzigen, die derzeit wirklich scharf drauf sind, gesuchte Kriegsverbrecher zu erwischen und hinzurichten, sind die Israelis. Und wenn die erst mal glauben, dass sie Erich Grün erledigt haben, ist diese Akte für uns geschlossen. Und für die Russen auch. Und der echte Grün ist aus dem Schneider. Und da kommen Sie ins Spiel, Gunther. Sie werden nämlich für ihn den Kopf hinhalten.» Ich war jetzt am unteren Ende der Treppe angelangt. «Die Tür da aufmachen und reingehen.»
    Ich blieb stehen.
    «Wenn es Ihnen lieber ist, kann ich Ihnen auch eine Kugel in die Wade verpassen, und dann können wir nur hoffen, dass Sie in den drei, vier Stunden, die die Jungs aus Linz hierher brauchen, nicht verbluten. Wie es Ihnen lieber ist.»
    Ich öffnete die Kellertür und ging rein. Vor dem Krieg hätte ich mich vielleicht auf ihn gestürzt. Aber da war ich auch noch schneller gewesen. Schneller und jünger.
    «Hinsetzen und die Hände hinter den Kopf.»
    Wieder gehorchte ich. Ich hörte die Tür hinter mir zufallen, und einen Moment lang saß ich im Dunkeln. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, dann wurde von draußen das Licht angeknipst.
    «Nur damit Sie noch ein bisschen Stoff zum Nachdenken haben», sagte Jacobs durch

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