Das Janusprojekt
hätte», sagte er, «würde ich gern wissen wollen, wie es Ihnen gelungen ist, so schnell aus Wien herauszukommen. Wirklich beeindruckend. Aber ich habe Erich ja gleich gesagt, dass er Ihnen das Geld nicht überlasssen soll. Damit haben Sie’s doch geschafft, oder?» Er beugte sich vorsichtig vor und nahm meine Pistole an sich.
«Wenn Sie’s genau wissen wollen, ich habe das Geld noch», sagte ich.
«Ach? Wo denn?» Er sicherte meine Automatik und steckte sie unter seinen Gürtel.
«Etwa sechzig Kilometer von hier», sagte ich. «Wir können ja hinfahren und es holen, wenn Sie wollen.»
«Ich könnte Ihnen das Versteck auch mit meinem kleinen Schießeisen aus der Nase ziehen, Gunther. Aber Sie haben Glück, dass ich etwas in Eile bin.»
«Weil Sie ein Flugzeug kriegen müssen?»
«Ganz recht. Und jetzt her mit den Pässen.»
«Was für Pässen?»
«Wenn ich es nochmal sagen muss, haben Sie ein Ohr weniger. Und bilden Sie sich nicht ein, dass jemand den Schuss hören und irgendetwas unternehmen würde. Nicht mit diesem Schießplatz gleich hier um die Ecke.»
«Gutes Argument», sagte ich. «Darf ich die Hand benutzen, um sie herauszuholen? Sie stecken in meiner Manteltasche. Oder soll ich es mit den Zähnen versuchen?»
«Nur Daumen und Zeigefinger.» Er trat einen Schritt zurück, umfasste das Handgelenk seiner Schusshand mit der anderen Hand und setzte mir die Pistole an den Kopf, als ob er jeden Moment abdrücken wollte. Gleichzeitig musterten seine scharfen Augen die Akte, in der ich zuletzt gelesen hatte. Ich sagte nichts. Es hatte keinen Sinn, ihn noch misstrauischer zu machen, als er ohnehin schon war. Ich zog die Pässe aus der Tasche und warf sie auf die Akte.
«Was haben Sie da gelesen?» Er nahm die Pässe und Flugkarten an sich und steckte alles in die Tasche seines kurzen Ledermantels.
«Nur die Krankenakte einer Patientin Ihres Schützlings», sagte ich und klappte die Akte zu.
«Hände wieder hinter den Kopf», sagte er.
«Als Ärzte müssen sie miserabel sein», sagte ich. «Ihre Patienten haben allesamt die lästige Angewohnheit zu sterben.» Ich bemühte mich sehr, meinen Zorn im Zaum zu halten, aber meine Ohren glühten. Ich konnte nur hoffen, dass er ihre Farbe auf die Kälte zurückführen würde. Ich wollte ihm das Gesicht zu Brei schlagen, aber das konnte ich nur, wenn ich nicht erschossen wurde.
«Diesen Preis ist es wert», sagte er.
«Das sagt sich leicht, wenn man nicht derjenige ist, der ihn zahlen muss.»
«Nazikriegsgefangene?» Er schnaubte verächtlich. «Ich glaube nicht, dass irgendwer ein paar kranke Krauts vermissen wird.»
«Und der Mann, der Sie nach Dachau geführt hat?», fragte ich. «War das auch einer von diesen Nazikriegsgefangenen?»
«Wolfram? Der fiel in die Kategorie entbehrlich. Aus demselben Grund haben wir auch Sie ausgesucht, Gunther. Sie fallen ebenfalls in die Kategorie entbehrlich.»
«Aber dann, als die kranken Nazikriegsgefangenen aufgebraucht waren? Da mussten unheilbar Kranke in Münchner Psychiatrien herhalten. Wie in alten Zeiten. Die fielen wohl auch in die Kategorie entbehrlich?»
«Das war dumm», sagte Jacobs. «Und ein unnötiges Risiko.»
«Wissen Sie, dass die beiden das getan haben, verstehe ich ja noch», sagte ich. «Das sind Kriminelle. Fanatiker. Aber Sie nicht, Jacobs. Ich weiß, dass Sie wissen, was die beiden während des Krieges gemacht haben. Ich habe die Akte in der russischen Kommandantura gesehen, in Wien. Versuche an KZ-Häftlingen? Viele von denen waren Juden wie Sie. Macht Ihnen das denn gar nichts aus?»
«Das war damals», sagte er. «Heute ist heute. Aber vor allem, es gibt ein Morgen.»
«Sie hören sich an wie einer, den ich kenne», sagte ich. «Ein ganz hartgesottener Nazi.»
«Es wird vielleicht noch ein, zwei Jahre dauern», fuhr er fort und lehnte sich an die Wand. Seine Anspannung ließ gerade so weit nach, dass ich schon fast glaubte, eine minimale Chance zu haben. Vielleicht hoffte er ja, ich würde ihn attackieren, damit er einen Vorwand hatte, mich zu erschießen. Falls er denn einen Vorwand brauchte. «Aber ein Malaria-Impfstoff ist viel wichtiger als irgendwelche fehlgeleiteten Vorstellungen von Gerechtigkeit und Sühne. Ahnen Sie überhaupt, was ein Malaria-Impfstoff wert wäre?»
«Es gibt nichts Wichtigeres als Sühne», sagte ich. «Nicht in meinen Augen.»
«Gut, dass Sie so denken, Gunther», sagte er. «Sie werden nämlich eine Hauptrolle bei einem kleinen Sühneprozess hier in
Weitere Kostenlose Bücher