Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
was sie jetzt empfinden mussten: die immense Befriedigung, einen der abscheulichsten Kriegsverbrecher aller Zeiten gefasst zu haben. Schließlich ging die Tür auf, und vor mir standen zwei Männer, im Gesicht leisen Ekel und in der Hand je eine funkelnagelneue .45er-Automatik. Wie zwei Boxer standen sie da, als ob sie hofften, ich würde mich ein bisschen wehren, damit sie mich ein Weilchen als Sparringspartner benutzen könnten.
    Beide trugen Rollkragenpullover und Skihosen. Der eine war deutlich jünger als der andere. Sein braunes Haar wirkte so steif, als käme er gerade vom Friseur, mit Haaröl oder Pomade gelegt oder vielleicht auch nur mit einer Handvoll Wäschestärke. Er hatte dichte Brauen, und seine großen, braunen Augen sahen aus wie Hundeaugen. Sein Partner war größer und hässlicher, hatte Ohren wie ein Elefantenbaby und eine Nase wie der Deckel eines Flügels. Sein Sportsakko saß wie ein Lampenschirm.
    Sie dirigierten mich nach oben, als trüge ich eine nicht entschärfte Bombe am Leib, und dann ins Büro. Sie hatten den Schreibtisch so verrückt, dass er jetzt mit Blickrichtung auf die Glasschiebetüren stand. Hinter dem Schreibtisch saß ein Mann, und davor stand ein einzelner Stuhl wie der Sitz in einem Zeugenstand. Der Mann hinterm Schreibtisch forderte mich höflich auf, mich zu setzen. Sein Akzent klang amerikanisch. Als ich saß, beugte er sich vor wie ein Untersuchungsrichter, die Hände gefaltet, als ob er noch kurz beten wollte, ehe er mich vernahm. Er trug keine Jacke und hatte tatendurstig die Hemdsärmel aufgekrempelt. Er hatte dickes, graues Haar, das ihm in die Augen fiel, und er war dünner als der Kotfaden eines vernachlässigten Goldfischs. Seine Nase zierten zahlreiche geplatzte Äderchen. Er nahm einen Füllhalter zur Hand, bereit, in ein hübsches neues Notizbuch zu schreiben.
    «Wie heißen Sie?»
    «Bernhard Gunther.»
    «Wie hießen Sie vorher?»
    «Ich hieß immer schon Bernhard Gunther.»
    «Wie groß sind Sie?»
    «Einen Meter siebenundachtzig.»
    «Welche Schuhgröße haben Sie?»
    «Vierundvierzig.»
    «Welche Jackengröße?»
    «Vierundfünfzig.»
    «Wie lautete Ihre NSDAP-Mitgliedsnummer?»
    «Ich war nie in der Partei.»
    «Wie lautete Ihre SS-Nummer?»
    «85   437.»
    «Ihr Geburtsdatum?»
    «Siebter Juli 1896.»
    «Geburtsort?»
    «Berlin.»
    «Wie lautet Ihr Geburtsname?»
    «Bernhard Gunther.»
    Der Vernehmungsführer legte seufzend den Füllhalter hin. Fast schon widerstrebend öffnete er eine Schublade, entnahm ihr eine Akte und schlug sie auf. Er reichte mir einen deutschen Pass auf den Namen Erich Grün. Ich klappte ihn auf. Er sagte: «Ist das Ihr Pass?»
    Ich zuckte die Achseln. «Das da auf dem Foto bin ich», sagte ich. «Aber diesen Pass habe ich noch nie gesehen.»
    Er reichte mir ein Dokument. «Die Kopie einer SS-Akte auf den Namen Erich Grün», sagte er. «Das ist doch ebenfalls ein Foto von Ihnen, oder nicht?»
    «Das ist ein Foto von mir», sagte ich. «Aber es ist nicht meine SS-Akte.»
    «Eine Bewerbung zur SS, erstellt und unterzeichnet von Erich Grün, mit beigefügtem Gesundheitszeugnis. Größe einsachtundachtzig, Haarfarbe blond, Augenfarbe blau, besondere Merkmale: Fehlen des kleinen Fingers an der linken Hand.» Er reichte mir auch dieses Dokument. Ich nahm es, ohne groß nachzudenken, mit der Linken. «Ihnen fehlt der kleine Finger an der linken Hand. Das können Sie ja wohl nicht abstreiten.»
    «Das ist eine lange Geschichte», sagte ich. «Aber ich bin nicht Erich Grün.»
    «Weitere Fotos», sagte der Vernehmungsführer. «Eins, wie Sie Reichsmarschall Hermann Göring die Hand schütteln, aufgenommen im August 1936. Eins von Ihnen mit SS-Gruppenführer Heydrich, aufgenommen auf der Wewelsburg in Paderborn, im November 1938.»
    «Sie werden bemerkt haben, dass ich keine Uniform trage», sagte ich.
    «Und eins, auf dem Sie neben Reichsführer Heinrich Himmler stehen, wahrscheinlich vom November 1938. Da trägt er auch keine Uniform.» Er lächelte. «Worüber haben Sie geredet? Über Euthanasie vielleicht? Über die Aktion T4?»
    «Ich bin ihm begegnet, ja», sagte ich. «Aber das heißt nicht, dass wir uns Weihnachtskarten geschickt hätten.»
    «Sie mit SS-Gruppenführer Arthur Nebe. Aufgenommen in Minsk 1941. Auf diesem Foto tragen Sie Uniform, oder? Nebe befehligte eine Einsatzgruppe, die – wie viele Juden getötet hat, Aaron?»
    «Neunzigtausend, Boss.» Aarons Akzent klang eher britisch als amerikanisch.
    «Neunzigtausend.

Weitere Kostenlose Bücher