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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Kopf aus dem Schnee und sah, nur ein kleines Stück von mir entfernt, einen Mann graben. Das schien mir ein sonderbares Tun, mitten im Winter im Wald. Ich fragte mich, wonach er da grub.
    «Warum muss ausgerechnet ich graben?», ächzte er. Dieser Mann klang wie der einzige Deutsche unter den dreien.
    «Weil du ihm das Ding verpasst hast, Schlomo», sagte eine Stimme. «Wenn du das nicht getan hättest, hätte er das Grab selbst ausheben können.»
    Der Mann warf den Spaten hin. «Das muss reichen», sagte er. «Der Boden ist steinhart gefroren. Es wird bald wieder schneien, und dann deckt der Schnee ihn zu, und er ist erst mal weg bis zum Frühling.»
    Plötzlich war da ein schmerzhaftes Pochen in meinem Schädel. Höchstwahrscheinlich war es die Erkenntnis, was da gegraben wurde, die sich Einlass in meine Gehirnzellen verschaffte. Ich schob den Arm unter meinen Kopf und stöhnte.
    «Er kommt zu sich», sagte die Stimme.
    Der Mann, der gegraben hatte, stieg aus der Grube und zog mich auf die Beine. Der Hüne. Der, der mich geschlagen hatte. Schlomo. Der deutsche Jude.
    «Um Himmels willen», sagte Stimme, «schlag ihn bloß nicht nochmal.»
    Benommen sah ich mich um. Von Grüns Laborgebäude war nichts zu sehen. Vielmehr stand ich am Waldrand, am Hang über Haus Mönch. Ich erkannte das Wappen an der Hauswand. Ich befühlte meinen Kopf. Da war eine Beule wie ein Golfball. Einer, der gerade über hundert Meter weit gedroschen worden war. Schlomos Werk.
    «Haltet ihn aufrecht.» Das war der Vernehmungsführer. Seiner Nase bekam die Kälte gar nicht. Er sah aus wie Rudolf das Rentier aus diesem Lied, das derzeit ständig im Radio kam.
    Schlomo und Aaron packten mich an den Armen und richteten mich auf. Ihre Finger fühlten sich an wie Kneifzangen. Ihnen machte das Spaß. Ich hob an, etwas zu sagen. «Ruhe», knurrte Schlomo. «Du kommst schon noch dran, Nazischwein.»
    «Der Gefangene wird sich jetzt ausziehen», sagte der Vernehmungsführer.
    Ich bewegte mich nicht. Kaum jedenfalls. Ich schwankte immer noch etwas von dem Schlag auf den Kopf.
    «Zieht ihn aus», sagte er.
    Schlomo und Aaron gingen so grob zu Werk, als hätten sie es auf meine Brieftasche abgesehen. Sie warfen meine Sachen in die flache Grube vor mir. Zitternd schlang ich die Arme um mich wie eine Pelzstola. Eine echte Pelzstola wäre besser gewesen. Die Sonne war hinterm Berg versunken, und Wind kam auf.
    Jetzt, da ich nackt war, ergriff der Vernehmungsführer wieder das Wort.
    «Erich Grün. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden Sie hiermit zum Tode verurteilt. Das Urteil ist sofort zu vollstrecken. Möchten Sie noch etwas sagen?»
    «Ja.» Meine Stimme klang, als gehörte sie jemand anderem. Was ja für diese Männer hier auch der Fall war. Sie dachten ja, es sei Erich Grüns Stimme. Zweifellos erwarteten sie, dass ich ein trotziges «Es lebe das Großdeutsche Reich» oder «Heil Hitler» von mir geben würde. Aber nichts hätte mir in diesem Moment ferner sein können als das nationalsozialistische Deutschland und Hitler. Ich dachte an Palästina. Vielleicht hatte Schlomo mir ja eins über den Schädel gezogen, weil ich es nicht Israel genannt hatte. Jedenfalls musste ich mir schnell ein paar passende Worte einfallen lassen, wenn ich dem Genickschuss entgehen wollte. Schlomo kontrollierte bereits das Magazin seiner mächtigen Colt Automatik.
    «Bitte, hören Sie», sagte ich zähneklappernd. «Ich bin nicht Erich Grün. Das ist ein Irrtum. Mein richtiger Name ist Bernie Gunther. Ich bin Privatdetektiv. Vor zwölf Jahren, ’37, habe ich in Israel der Haganah einen Dienst erwiesen. Ich habe Eichmann ausspioniert, für Feivel Polkes und Eliahu Golomb. Wir haben uns in einem Café in Tel Aviv getroffen, dem Kaplinksky. Kaplinsky oder Kapulsky, ich weiß es wirklich nicht mehr. Es war neben einem Kino in der Lilienblumstraße. Wenn Sie Golomb anrufen, wird er sich sicher an mich erinnern. Er wird für mich bürgen, ganz bestimmt. Er wird sich dran erinnern, wie ich mir Feivels Waffe geborgt habe. Und was ich ihm geraten habe.»
    «Eliahu Golomb ist 1946 gestorben», sagte der Vernehmungsführer.
    «Dann Feivel Polkes. Fragen Sie ihn.»
    «Ich fürchte, ich habe keine Ahnung, wo er ist.»
    «Er hat mir eine Postadresse gegeben, für den Fall, dass ich je irgendwelche Informationen für die Haganah hätte und Polkes nicht kontaktieren könnte», sagte ich. «Polkes war der Mann der Haganah in Berlin. Ich sollte an eine Jerusalemer Adresse

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