Das Janusprojekt
Deutschland zurückfahren, der Großmufti hätte recht, oder? Damit, dass alle Juden in Palästina massakriert werden sollten?»
Als das Treffen dann endlich stattfand, lief es ganz gut. In meinen Ohren klangen Golomb und Polkes zwar auch wie Fanatiker, aber sie klangen tatsächlich nicht wie religiöse Fanatiker und Irre. Nach dem Großmufti hätte allerdings so ziemlich jeder vernünftig gewirkt.
Ein paar Tage später fuhren wir von Alexandria mit dem italienischen Dampfer Palestrina über Rhodos und Piräus nach Brindisi. Dort nahmen wir den Zug und waren am 26. Oktober wieder in Berlin.
Neun Monate waren vergangen, als ich Eichmann in Wien, wohin mich Ermittlungen in einem Fall geführt hatten, unvermutet über den Weg lief. Es war auf der Prinz-Eugen-Straße im elften Bezirk, unmittelbar südlich des späteren Stalin-Platzes. Er kam gerade aus dem Palais Rothschild, das (nach dem umjubelten Einzug der Wehrmacht in Österreich im März 1938) arisiert worden war und jetzt das österreichische SD-Hauptquartier beherbergte. Eichmann war jetzt kein kleiner Hauptscharführer mehr, sondern Untersturmführer. Sein Gang schien federnder. Juden flohen bereits außer Landes. Zum ersten Mal im Leben hatte Eichmann echte Macht. Was auch immer er seinen Vorgesetzten nach seiner Rückkehr aus Ägypten erzählt haben mochte – es hatte offenbar Eindruck gemacht.
Wir wechselten nur ein paar Worte, ehe er in den Fond eines Stabswagens stieg und davonfuhr. Ich weiß noch, wie ich mich fragte, ob es je einen jüdischer aussehenden Mann in einer SS-Uniform gab.
Immer, wenn ich nach dem Krieg seinen Namen in der Zeitung las, stellte ich mir diese Frage. Gab es je einen jüdischer aussehenden Mann in einer SS-Uniform?
Und noch etwas werde ich immer mit ihm verbinden. Etwas, was er mir auf dem Schiff von Alexandria nach Brindisi erzählte – als er gerade mal nicht seekrank war. Etwas, worauf er sehr stolz war. Als Junge in Linz war Eichmann auf dieselbe Schule gegangen wie Adolf Hitler. Vielleicht erklärt das ja irgendwie, was aus ihm wurde. Ich weiß es nicht.
1
München, 1949
Wir waren nur einen Steinwurf vom ehemaligen Konzentrationslager entfernt. Aber in der Anfahrtsbeschreibung erwähnten wir das möglichst nicht. Das Hotel im Osten des mittelalterlichen Städtchens Dachau lag in einer kopfsteingepflasterten, von Pappeln gesäumten Nebenstraße, vom einstigen KZ – das jetzt ein Flüchtlingslager war – durch den Würmkanal getrennt. Es war ein stattliches, dreistöckiges Fachwerkhaus mit einem steilen, orangerot gedeckten Satteldach und einem umlaufenden Balkon, der von roten Geranien strotzte. Doch es hatte schon bessere Zeiten gesehen. Seit erst die Nazis und dann die Internierten Dachau verlassen hatten, besuchte niemand mehr das Hotel – außer vielleicht mal ein Bauingenieur, der daran mitwirkte, Teile eines KZs verschwinden zu lassen, in dem ich selbst im Sommer 1936 für ein paar unangenehme Wochen inhaftiert gewesen war. Die gewählten Vertreter des bayerischen Volkes sahen keine Veranlassung, die Überreste des Lagers für gegenwärtige oder zukünftige Besucher zu erhalten. Die meisten Einwohner der Stadt, darunter auch ich, waren dagegen der Meinung, dass das Lager die einzige Möglichkeit war, irgendwie Geld nach Dachau zu locken. Doch die Chancen waren gering, solange die Gedenkkirche nicht gebaut und ein Massengrab, in dem über fünftausend Menschen lagen, nicht einmal gekennzeichnet wurde. Die Besucher blieben weg, und trotz meiner Bemühungen mit den Geranien ging das Hotel langsam, aber sicher ein. Als der neue zweitürige Buick Roadmaster in unserer kleinen, gepflasterten Einfahrt hielt, dachte ich, die beiden Männer hätten sich verfahren und wollten nach dem Weg zu den Kasernen der Dritten US-Armee fragen, wenn auch schwer vorstellbar war, wie man die verfehlen konnte.
Der Fahrer stieg aus, reckte sich wie ein Kind und blickte in die Luft, als wäre er überrascht, dass man an einem Ort wie Dachau die Vögel singen hörte. Der Beifahrer blieb sitzen, starrte stur geradeaus und wünschte sich vermutlich woanders hin. Er hatte meine volle Sympathie, und wenn ich so eine glänzend grüne Limousine gehabt hätte, wäre ich mit Sicherheit weitergefahren. Keiner der beiden trug Uniform, aber der Fahrer war deutlich besser gekleidet. Besser gekleidet, besser ernährt und überhaupt in besserer körperlicher Verfassung, wie mir schien. Er federte die Steinstufen hinauf und durch die
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