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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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mir nicht denken, was er wollte. Er sah wahrhaftig nicht so aus, als hätte er einen Sonderpreis für zwei Zimmer nötig. Wenn da irgendetwas Faules an seinen blitzblanken Schuhen klebte, roch ich es noch nicht. Außerdem war an dem Etikett auf der Whiskyflasche auch nichts auszusetzen. «Aber Ihr Freund draußen im Auto? Will der nicht auch reinkommen?»
    «Der? Ach, der trinkt nichts.»
    Ich ging nach hinten ins Büro und holte zwei Gläser aus dem Schrank. Ehe ich ihn fragen konnte, ob er Wasser zu seinem Whisky wollte, hatte der Amerikaner schon beide Gläser randvoll gegossen. Er hielt seins gegen das Licht und sagte langsam: «Wissen Sie, ich wollte, ich wüsste, an wen Sie mich erinnern.»
    Ich überging es. So etwas konnte nur ein Amerikaner oder Engländer sagen. In Deutschland wollte derzeit niemand an irgendetwas oder irgendjemanden erinnert werden. Das Privileg der Besiegten.
    «Wird mir schon noch einfallen», meinte er kopfschüttelnd. «Ich vergesse nie ein Gesicht. Aber das ist nicht so wichtig.» Er leerte sein Glas und schob es beiseite. Ich probierte meinen Whisky. Ich hatte recht gehabt, er war gut.
    «Hören Sie», sagte er. «Ihr Hotel ist für meine Zwecke genau das Richtige. Wie gesagt, ich brauche zwei Zimmer für ein, zwei Nächte. Kommt drauf an. Auf jeden Fall habe ich Geld. Bargeld.» Er zog ein zusammengefaltetes Bündel nagelneuer D-Mark-Scheine aus der Gesäßtasche, nahm die silberne Geldklammer ab und zählte fünf Zwanziger vor mir auf den Empfangstresen. Das war etwa das Fünffache dessen, was zwei Zimmer für zwei Nächte üblicherweise kosteten. «Geld, das etwas gegen zu viele Fragen hat.»
    Ich trank meinen Whisky aus, ließ meinen Blick zu dem Beifahrer draußen im Buick wandern und musste mit meinen inzwischen doch etwas kurzsichtigen Augen leicht blinzeln, als ich ihn zu taxieren versuchte. Aber der Amerikaner kam mir zuvor.
    «Sie fragen sich, was mein Kumpel für einer ist», sagte er. «Ob er vielleicht vom anderen Ufer ist.» Er schenkte uns nach und grinste. «Keine Bange. Wir sind keine warmen Brüder, falls Sie das dachten. Im Gegenteil, unser Verhältnis ist alles andere als warm. Wenn Sie ihn fragten, wie er zu mir steht, würde er wahrscheinlich sagen, er hasst mich bis aufs Blut, der Scheißkerl.»
    «Netter Weggefährte», erwiderte ich. «Ich sage immer, geteilte Reisefreuden sind doppelte Reisefreuden.» Ich griff nach meinem zweiten Whisky. Aber die hundert Mark rührte ich erst mal nicht an, jedenfalls nicht mit der Hand. Meine Augen wanderten immer wieder zu den fünf Scheinen. Der Amerikaner sah es und sagte: «Nur zu. Nehmen Sie das Geld. Wir wissen beide, dass Sie es brauchen. Hier war doch kein Gast mehr, seit meine Regierung letztes Jahr im August die Kriegsverbrecherprozesse in Dachau eingestellt hat. Also seit fast einem Jahr, stimmt’s? Kein Wunder, dass Ihr Schwiegervater sich umgebracht hat.»
    Ich sagte nichts. Aber allmählich roch es doch etwas faul.
    «Muss hart gewesen sein», fuhr er fort. «Ich meine, jetzt, wo die Prozesse vorbei sind, wer will da noch hierherkommen, um Urlaub zu machen? Dachau ist ja nicht gerade Coney Island, oder? Aber vielleicht wendet sich das Blatt ja wieder. Vielleicht kommen ja irgendwann ein paar Juden, die in Erinnerungen schwelgen wollen.»
    «Kommen Sie zur Sache», sagte ich.
    «Gut.» Er kippte seinen Whisky und zog ein goldenes Zigarettenetui aus der anderen Tasche. «Herr Kommissar Gunther.»
    Ich nahm die mir angebotene Zigarette, und er gab mir Feuer, indem er das Streichholz kurz vor meinem Gesicht anriss.
    «Vorsicht», sagte ich. «Sie könnten sich Ihre hübsch manikürten Hände ruinieren.»
    «Oder Sie könnten es tun? Richtig?»
    «Möglich.»
    Er lachte. «Machen Sie nicht auf hartgesotten, Freundchen», sagte er. «Das haben schon andere versucht. Den Krauts, die’s versucht haben, ist das gar nicht gut bekommen.»
    «Ich weiß nicht», sagte ich. «Sie sehen gar nicht wie so ein rauer Bursche aus. Oder ist das der diesjährige Look für raue Burschen?»
    «Bernie, alter Junge, was Sie wissen oder nicht wissen, ist für mich von untergeordneter Bedeutung», sagte er. «Ich will Ihnen mal kurz erzählen, was ich weiß. Ich weiß nämlich eine ganze Menge. Zum Beispiel, dass Sie und Ihre Frau im letzten Herbst von Berlin hierhergekommen sind, um Ihrem Schwiegerpapa mit seinem Hotel zu helfen. Dass er sich kurz vor Weihnachten das Leben genommen hat und dass Ihre Frau deswegen verrückt geworden

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