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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Es gibt sogar ein Hotel, das nach General Patton benannt ist. Zwei sogar, wenn ich’s mir recht überlege. Den Amis gefällt es hier. Sie kommen aus ganz Deutschland hierher, um sich zu erholen. R-and-R , wie sie es nennen, rest and recreation . Sie spielen Tennis oder Golf, sie schießen auf Tontauben, und im Winter gehen sie Ski oder Schlittschuh laufen. Die Eisbahn im Wintergarten ist wirklich sehenswert. Die Mädchen hier sind nett, und in zweien der vier Kinos laufen sogar amerikanische Filme. Warum also sollte es den Amis nicht gefallen? Viele von ihnen kommen aus Orten in den Vereinigten Staaten, die gar nicht so anders sind als Garmisch-Partenkirchen.»
    «Mit einem entscheidenden Unterschied», sagte ich. «Dort gibt es keine Besatzer.»
    Henkell zuckte die Achseln. «Die sind gar nicht so übel, wenn man sie erst mal ein bisschen besser kennt.»
    «Das gilt auch für manche Schäferhunde», sagte ich sarkastisch. «Trotzdem wollte ich keinen im Haus.»
    «Da sind wir», sagte er und bog von der Straße ab. Er fuhr eine geschotterte Zufahrt entlang, zwischen zwei Grüppchen von hohen Tannen hindurch und über eine Wiese, an deren Ende ein dreistöckiges, teilweise mit Holz verschaltes Haus stand. Das Dach war so steil wie die berühmte Neunzig-Meter-Sprungschanze von Garmisch. Das Erste, was einem an dem Haus auffiel, war das riesige Wappen auf einer Außenwand. Es war ein goldener Schild mit schwarzen Feldern und drei Hauptsymbolen: einem abnehmenden Mond, einer Kanone mit Kanonenkugeln und einem Raben. Unter diesem ganzen dekorativen Mumpitz stand die Inschrift «Sero sed serio» , was lateinisch war und vermutlich so viel hieß wie «Wir sind reicher als ihr». Das Haus selbst war hübsch gelegen, das Gelände fiel steil zum Tal hin ab, was den Bewohnern eine herrliche Aussicht bescherte. Hierzulande war das ein hoher Wert, und dieses Haus bot einen Ausblick wie sonst nur ein Adlerhorst. Nichts hemmte den Blick, außer ein, zwei Wolken. Und gelegentlich vielleicht mal einem Regenbogen.
    «Ihre Familie hat wohl nie unter Höhenangst gelitten», sagte ich. Oder unter Armut, hätte ich gern noch hinzugesetzt.
    «Nicht schlecht, der Blick, was?», sagte er, als er vor der Haustür hielt. «Ich genieße ihn immer wieder.»
    Ordentlich gestapeltes Holz flankierte die Haustür, und über der Tür prangte eine kleinere Version des Wappens von der Hauswand. Die Tür selbst war ein massives Exemplar, das aussah, wie aus Odins Burg entliehen. Sie öffnete sich, und sichtbar wurde ein Mann in einem Rollstuhl, mit einer Decke über den Knien. Die Krankenschwester, die ihn schob, machte den Eindruck, als hätte sie mehr Wärme zu bieten als die Decke, und ich wusste instinktiv, was von beidem ich lieber auf dem Schoß gehabt hätte. Es schien mir tatsächlich wieder besserzugehen.
    Der Mann war untersetzt, mit etwas längerem, blondem Haar und einem Bart, wie man ihn sich vielleicht für eine wichtige Unterhaltung mit Moses zugelegt hätte. Der Schnurrbart war gewichst und stand über sein Gesicht hinaus wie die Parierstange eines Langschwerts. Er trug eine blaue, wildlederne Schlierseer Joppe mit Hirschhornknöpfen, ein Hemd im Landhausstil und eine Edelweißkragenkette aus Horn, Zinn und Perlen. An den Füßen hatte er schwarze Miesbacher Schuhe mit hohen Absätzen – solche Schuhe trug man, wenn man einen Kerl in Lederhosen mal so richtig klapsen wollte. Er rauchte eine Bruyère-Pfeife mit einem Tabak, der stark nach Vanille roch, ein bisschen wie verbrannte Eiskrem. Er sah aus wie Heidis Alm-Öhi.
    Als Erwachsene hätte Heidi vielleicht ungefähr so ausgesehen wie die Pflegerin. Sie trug ein knielanges rosa Dirndl, eine tiefausgeschnittene weiße Bluse mit Puffärmeln, eine weiße Schürze, Spitzenkniestrümpfe und ähnlich robuste Schuhe wie ihr bärtiger Patient. Dass sie Krankenschwester war, sah man daran, dass sie eine kleine Uhr an ihrer Bluse baumeln hatte und ein weißes Häubchen trug. Sie war blond, aber es war kein warmes Gelb- oder Goldblond, sondern jenes enigmatisch bleiche Blond, wie man es bei einer Sylphe auf einer Waldlichtung finden würde. Sie hatte einen leichten Schmollmund, und ihre Augen waren am ehesten mit lavendelfarben zu beschreiben. Ich versuchte, ihren Busen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ich versuchte es wirklich, aber er sang zu mir, als wäre ich ein armer tumber, aber nicht tauber Rheinschiffer. Im Grunde sind alle Frauen Krankenschwestern. Das Hegen und Pflegen liegt nun mal in

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