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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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hatte. Dann hielt ich ein Mittagsschläfchen in einem Lehnsessel. Als ich aufwachte, fand ich mich mit Grün allein. Er schien schon eine ganze Weile da zu sein und musterte mich auf eine neugierige Art, für die er mir eine Erklärung schuldig schien.
    «Wollten Sie etwas von mir, Herr Grün?»
    «Nein, nein», sagte er. «Und bitte sagen Sie Erich zu mir.» Er rollte ein Stückchen zurück. «Ich habe irgendwie das Gefühl, dass wir beide uns schon mal begegnet sind. Ihr Gesicht kommt mir so bekannt vor.»
    Ich sagte achselzuckend: «Ich glaube, ich habe einfach ein Allerweltsgesicht.» Ich musste an den Amerikaner in Dachau denken. Er hatte etwas Ähnliches gesagt. «Es war wohl mein Glück, dass ich Polizist geworden bin», setzte ich hinzu. «Sonst hätten sie mich am Ende für etwas drangekriegt, was ich gar nicht getan habe.»
    «Waren Sie je in Wien?», fragte er. «Oder in Bremen?»
    «In Wien, ja», sagte ich. «Aber in Bremen nicht.»
    «Bremen. Keine interessante Stadt», sagte er. «Nicht wie Berlin.»
    «Anscheinend ist es derzeit nirgends so interessant wie in Berlin», sagte ich. «Deshalb lebe ich auch nicht mehr dort. Zu gefährlich. Wenn es je einen neuen Krieg gibt, geht er in Berlin los.»
    «Aber gefährlicher als München kann es ja wohl kaum sein», sagte Grün. «Heinrich sagt, die Männer, die Sie zusammengeschlagen haben, hätten Sie beinahe umgebracht.»
    «Beinahe», sagte ich. «Apropos, wo ist eigentlich Dr.   Henkell?»
    «Runtergefahren ins Labor in Partenkirchen. Den sehen wir vor dem Abendessen nicht wieder. Vielleicht nicht mal dann. Nicht jetzt, wo Sie hier sind, Herr Gunther.»
    «Bernie, bitte.»
    Er deutete mit dem Kopf eine höfliche Verbeugung an. «Ich meine nur, er wird sich nicht verpflichtet fühlen, mit mir zu Abend zu essen wie sonst.» Er beugte sich zu mir und drückte mir herzlich die Hand. «Ich bin sehr froh, dass Sie hier sind. Es kann manchmal ganz schön einsam sein.»
    «Sie haben doch Raina», sagte ich. «Und Engelbertina. Erwarten Sie bloß nicht, dass ich Sie bemitleide.»
    «Oh, die sind beide sehr nett, sicher. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich wüsste nicht, was ich ohne Engelbertina täte. Aber zum Reden braucht man als Mann trotzdem einen anderen Mann. Raina ist den ganzen Tag in der Küche und bleibt für sich. Und Engelbertina hat es nicht so mit Konversation. Das ist auch kein Wunder. Sie hat es schwer gehabt. Ich nehme an, sie wird es Ihnen zu gegebener Zeit erzählen. Wenn sie so weit ist.»
    Ich nickte und dachte an die eintätowierte Nummer auf Engelbertinas Unterarm. Mit Ausnahme Erich Kaufmanns vielleicht, des jüdischen Anwalts, der mich in München für meinen ersten Fall engagiert hatte, war ich noch nie einem Juden begegnet, der in einem der Vernichtungslager gewesen war. Natürlich, die meisten waren tot. Und die übrigen lebten in Israel oder Amerika. Und das mit der Nummer wusste ich nur, weil ich in einem Artikel darüber gelesen hatte, dass den jüdischen KZ-Häftlingen solche Nummern eintätowiert worden waren. Damals hatte ich gedacht, dass ein Jude eine solche Tätowierung wenigstens mit einem gewissen Stolz tragen konnte. Meine SS-Tätowierung unter der Achsel war mir auf ziemlich schmerzhafte Weise mittels eines Zigarettenanzünders entfernt worden. «Ist sie Jüdin?», fragte ich. Ich wusste nicht, ob Zehner ein jüdischer Name war. Aber ich sah keine andere Erklärung für die blaue Nummer auf ihrem Arm.
    Grün nickte. «Sie war in Auschwitz-Birkenau. Das sagt alles.»
    Ich spürte, wie sich meine Augenbrauen hoben. «Weiß sie Bescheid? Über Sie und Heinrich? Und über mich? Dass wir alle bei der SS waren?»
    «Was glauben Sie?»
    «Ich glaube, wenn sie es wüsste, würde sie den nächsten Zug zum DP-Lager in Landsberg nehmen», sagte ich. «Und dann das nächste Schiff nach Israel. Warum in aller Welt sollte sie hier bleiben?» Ich schüttelte den Kopf. «Ich glaube, es wird mir hier doch nicht gefallen.»
    «Tja, Sie werden staunen», sagte Grün fast schon stolz. «Sie weiß Bescheid. Über mich und Heinrich zumindest. Und vor allem, es macht ihr nichts aus.»
    «Aber warum um Himmels willen? Das verstehe ich nicht.»
    «Weil sie nach dem Krieg katholisch geworden ist. Sie glaubt an Vergebung, und sie glaubt an die Arbeit, die hier im Labor geleistet wird.» Er runzelte die Stirn. «Ach, gucken Sie doch nicht so erstaunt, Bernie. Sie ist doch nicht die erste Konvertitin. Schließlich waren die ersten Christen ja vorher

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