Das Janusprojekt
ihrer Natur. Nur dass manche mehr wie Krankenschwestern aussehen als andere. Und dass einige es schaffen, dass bei ihnen das Krankenschwesternhafte aussieht wie Delilas neuester Trick. Die Schwester in Henkells Haus konnte das. An ihr hätte noch mein alter Uniformmantel wie ein seidener Morgenrock gewirkt.
Henkell ertappte mich dabei, wie ich mir die Lippen leckte, und grinste, als er mir aus dem Mercedes half. «Ich habe Ihnen ja gesagt, dass es Ihnen hier gefallen wird», sagte er.
«Es freut mich ungemein, wenn Sie auf diese Art recht behalten», sagte ich.
Wir gingen ins Haus, und Henkell machte uns bekannt. Der Mann im Rollstuhl war Erich Grün. Die Pflegerin hieß Engelbertina Zehner. Engelbertina bedeutet «glänzender Engel». Irgendwie passte das zu ihr. Sie schienen beide sehr erfreut über meine Ankunft. Aber Haus Mönch war ja auch nicht gerade ein Ort, wo man einfach mal spontan vorbeischneite. Es sei denn, man käme mit dem Fallschirm. Sie waren wohl einfach froh über neue Gesellschaft, und wenn diese noch so sehr mit sich selbst beschäftigt war. Wir gaben uns die Hand. Grüns Hand war weich und ein bisschen klamm, als ob er irgendwie nervös wäre. Engelbertinas Hand war fest und so rau wie Sandpapier, was mich ein bisschen schockierte. Die Tätigkeit einer Privatpflegerin hatte wohl doch strapaziöse Seiten. Ich ließ mich auf einem großen, bequemen Sofa nieder und seufzte tief und wohlig.
«Das ist ja eine ganz schöne Wanderung», sagte ich und blickte in das riesige Wohnzimmer, das wir durchquert hatten. Engelbertina war bereits dabei, mir ein Kissen in den Rücken zu stopfen. Und dabei bemerkte ich die Tätowierung auf ihrem linken Unterarm. Die sagte ziemlich viel darüber, was ihre Hände mitgemacht hatten. Und der Rest von ihr ebenfalls. Aber das schob ich erst mal beiseite. Gerade von solchen Dingen wollte ich ja loskommen. Außerdem roch es gut aus der Küche, und ich verspürte zum ersten Mal seit Wochen Hunger. Eine weitere Frau erschien in der Tür. Auch sie war attraktiv, auf die gleiche ältere, breitere, leicht abgenutzte Art wie ich. Sie hieß Raina und war die Köchin.
«Herr Gunther ist Privatdetektiv», sagte Henkell.
«Das muss ja interessant sein», sagte Grün.
«Wenn es interessant wird, ist das normalerweise der Moment, zur Waffe zu greifen», sagte ich.
«Wie kommt man zu diesem Beruf?», fragte Grün und zündete seine Pfeife wieder an. Engelbertina mochte den Rauch offensichtlich nicht und wedelte ihn von ihrem Gesicht weg. Grün ignorierte es, und ich machte mir im Geist einen Vermerk, es meinerseits nicht zu ignorieren und eine Zeitlang draußen zu rauchen.
«Ich war ursprünglich Polizist in Berlin», sagte ich. «Bei der Kripo. Vor dem Krieg.»
«Haben Sie je einen Mörder geschnappt?», fragte sie.
Normalerweise würde ich mir so eine Frage einfach vom Revers schnippen. Aber ich wollte sie beeindrucken. «Einmal», sagte ich. «Vor vielen Jahren. Einen Würger namens Gormann.»
«Daran erinnere ich mich», sagte Grün. «Das war damals eine große Sache.»
Ich sagte achselzuckend: «Wie gesagt, das ist lange her.»
«Wir werden aufpassen müssen, Engelbertina», sagte Grün. «Sonst kommt Herr Gunther hinter all unsere kleinen Geheimnisse. Ich nehme an, er hat schon seinen Röntgenblick eingeschaltet.»
«Keine Sorge», beruhigte ich sie. «In Wahrheit war ich nie der typische Polizist. Ich habe ein Autoritätsproblem.»
«Das ist aber nicht sehr deutsch, alter Junge», sagte Grün.
«Deshalb bin ich auch im Krankenhaus gelandet», sagte ich. «Man hatte mich gewarnt, die Finger von einem Fall zu lassen, an dem ich gerade dran war. Und die Warnung hat nicht gefruchtet.»
«Aber Sie müssen doch sicher ein guter Beobachter sein.»
«Dann wäre ich wohl nicht zusammengeschlagen worden.»
«Gutes Argument», sagte Grün.
Eine Weile diskutierten er und Engelbertina über ihre Lieblingsdetektivromane, was für mich das Stichwort war, vorübergehend abzuschalten – ich hasse Detektivromane. Ich betrachtete meine Umgebung. Die rot-weiß karierten Vorhänge, die grünen Fensterläden, die handbemalten Schränke, die dicken Fellteppiche, die zweihundert Jahre alten Eichenbalken, den mächtigen Kamin, die Bauernmalereibilder und – was in keinem alpinen Heim fehlen durfte – ein altes Ochsenjoch. Trotz der Größe des Raums fühlte ich mich so wohlig geborgen wie eine Scheibe Brot im Toaster.
Es gab Mittagessen. Ich aß, und zwar mehr, als ich gedacht
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