Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
auch Juden.» Er schüttelte den Kopf. «Wie sie mit dem, was sie durchgemacht hat, fertig geworden ist – also, ich bewundere sie wirklich.»
    «Man kann ja wohl kaum anders, wenn man sie sieht.»
    «Außerdem liegt dieser ganze Wahnsinn hinter uns.»
    «Das dachte ich auch.»
    «Vergeben und vergessen. Sagt Engelbertina.»
    «Da gibt es nur ein Problem», sagte ich. «Wenn jemand die Chance haben will, dass ihm wirklich verziehen wird, muss ihm das, was er getan hat, wirklich leid tun.»
    «Alle Deutschen bedauern doch, was passiert ist», sagte Grün. «Das glauben Sie doch auch, oder?»
    «Natürlich bedauern wir es», sagte ich. «Wir bedauern, dass wir besiegt wurden. Wir bedauern, dass unsere Städte in Trümmer gelegt wurden. Wir bedauern, dass unser Land von vier ausländischen Armeen besetzt ist. Wir bedauern, dass unsere Soldaten als Kriegsverbrecher vor Gericht kommen und in Landsberg sitzen. Wir bedauern, dass wir verloren haben, Erich. Aber viel mehr auch nicht. Ich sehe einfach keine Indizien dafür.»
    Grün seufzte. «Vielleicht haben Sie recht», sagte er.
    Ich zuckte die Achseln. «Was weiß ich schon? Ich bin ja nur ein Detektiv.»
    «Ach, kommen Sie», sagte er lächelnd. «Sollten Sie nicht wissen, wer es war? Wer das Verbrechen begangen hat? Da müssen Sie doch recht haben, oder?»
    «Die Leute wollen nicht, dass Polizisten und Detektive recht haben», sagte ich. «Sie wollen, dass Priester recht haben. Oder die Regierung. Vielleicht sogar Anwälte, dann und wann. Aber keine Polizisten. Nur in Büchern wollen die Leute, dass Polizisten recht haben. In Wahrheit wollen sie, dass wir in fast allem falschliegen. Das gibt Ihnen wohl ein Gefühl der Überlegenheit. Außerdem hat Deutschland genug von Leuten, die immer recht haben. Was wir jetzt brauchen, sind ein paar ehrliche Fehler.»
    Grün sah betreten drein. Ich lächelte ihn an und sagte: «Mensch, Erich, Sie sagten doch, Sie wollten mal ein richtiges Gespräch. Sieht aus, als hätten Sie’s jetzt.»

23
    Wir kamen prima miteinander aus, Grün und ich. Nach einer Weile begann ich, ihn sogar zu mögen. Es war etliche Jahre her, dass ich das letzte Mal so etwas wie einen Freund gehabt hatte. Wie sehr ich Freundschaft vermisste, wurde mir erst klar, als ich anfing, mit Grün zu reden. Irgendetwas an diesem Mann sprach mich an. Vielleicht war es ja die Tatsache, dass er im Rollstuhl saß und es trotzdem irgendwie schaffte, heiter zu sein. Heiterer als ich jedenfalls, was nicht viel hieß. Vielleicht war es der Lebensmut, der von ihm ausging, auch wenn seine gesundheitliche Verfassung gar nicht gut war – an manchen Tagen konnte er nicht mal aufstehen, dann war ich mit Engelbertina allein. Ab und zu, wenn er sich wohl genug fühlte, fuhr er mit Henkell nach Partenkirchen ins Labor. Er war vor dem Krieg selbst Arzt gewesen, und es machte ihm Freude, Henkell bei der Laborarbeit zu helfen. Auch dann blieb ich mit Engelbertina allein.
    Als ich mich selbst ein bisschen besser fühlte, gewöhnte ich mir an, mit Grün Spaziergänge zu unternehmen – ich schob ihn also eine Weile im Garten auf und ab. Henkell hatte recht gehabt. Haus Mönch war wirklich ein hervorragender Ort, um sich zu erholen. Die Luft war so frisch wie Frühtau auf Enzian, und der Anblick eines Bergs oder eines Tals hat immer etwas, das früher oder später die starre Membran der eigenen Weltsicht durchdringt. Von einer Alpenwiese aus erscheint einem das Leben einfach freundlicher, zumal wenn die Unterkunft Luxusklasse ist.
    Eines Tages, als wir auf einem unserer Spaziergänge eine Pause machten, sah ich plötzlich, wie er meine Hand anstarrte.
    «Ist mir gerade erst aufgefallen», sagte er.
    «Was?», fragte ich.
    «Ihr kleiner Finger. Sie haben keinen.»
    «Doch, schon», sagte ich. «Aber es gab Zeiten, da hatte ich zwei. An jeder Hand einen.»
    «Und Sie wollen Detektiv sein», sagte er tadelnd und hob die linke Hand, um mir zu zeigen, dass ihm der halbe kleine Finger fehlte. Genau wie mir. «So viel zu Ihrer Beobachtungsgabe. Allmählich bezweifle ich, dass Sie je Detektiv waren, mein Lieber. Und wenn doch, können Sie kein sonderlich guter gewesen sein. Wie sagt Sherlock immer zu Dr.   Watson? Sie sehen, aber Sie beobachten nicht.» Er grinste und zwirbelte eine seiner Schnurrbartspitzen, genoss ganz offensichtlich meine Verblüfftheit und momentane Verwirrung.
    «Das ist doch Quatsch», sagte ich und schob ihn weiter. «Ich bin hier, um mal eine Zeitlang abzuschalten. Und

Weitere Kostenlose Bücher