Das Janusprojekt
genau das bemühe ich mich zu tun.»
«Das sind doch Ausreden, Gunther. Als Nächstes erzählen Sie mir noch, es läge an einer Krankheit, oder so was. Sie hätten meinen fehlenden Finger nicht bemerkt, weil Sie, nachdem Sie zusammengeschlagen wurden, eine Netzhautablösung hatten. Deshalb ist Ihnen wohl auch entgangen, dass Engelbertina ein bisschen in Sie verliebt ist.»
«Was?» Ich stoppte den Rollstuhl, trat die Bremse herunter und stellte mich vor ihn.
«Doch, wirklich, das ist ziemlich offensichtlich.» Er lächelte. «Und so was schimpft sich Detektiv.»
«Was soll das heißen? Ein bisschen in mich verliebt?»
«Ich sage nicht, dass sie heillos in Sie verliebt ist», sagte er. «Ich sage ja nur, ein bisschen verliebt.» Er nahm seine Pfeife heraus und begann, sie zu stopfen. «Oh, gesagt hat sie’s nicht. Aber schließlich kenne ich sie inzwischen ganz gut. Gut genug, um zu wissen, dass ein bisschen verliebt sein wahrscheinlich alles ist, wozu sie fähig ist, das arme Ding.» Er tastete seine Taschen ab. «Ich habe meine Streichhölzer anscheinend im Haus liegen lassen. Haben Sie Feuer?»
«Auf welche Indizien gründet sich Ihre Behauptung?» Ich warf ihm eine Schachtel Streichhölzer zu.
«Jetzt ist es zu spät, wie ein richtiger Detektiv klingen zu wollen», sagte er. «Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen.» Er verbrauchte zwei Streichhölzer, um seine Pfeife in Gang zu kriegen, und warf mir dann die Schachtel wieder zu. «Indizien? Ach, ich weiß nicht. Die Art, wie sie Sie anschaut. Das ist wie bei Rembrandt. Engelbertinas Blick folgt Ihnen durch den ganzen Raum. Und wie sie sich dauernd ans Haar fasst, wenn Sie mit Ihnen spricht. Wie sie sich auf die Unterlippe beißt, wenn Sie rausgehen, als ob sie Sie schon vermisst. Lassen Sie sich’s gesagt sein, Bernie, ich kenne die Anzeichen. Es gibt zwei Dinge auf der Welt, für die ich wirklich eine Nase habe. Gummireifen und romantische Regungen. Ob Sie’s glauben oder nicht, ich war mal ein richtiger Weiberheld. Ich sitze vielleicht im Rollstuhl, aber von Frauen verstehe ich immer noch etwas.» Er paffte an seiner Pfeife und grinste mich an. «Ja, sie ist ein bisschen in Sie verknallt. Erstaunlich, was? Ich muss zugeben, ich bin selbst ein bisschen überrascht. Überrascht und ein bisschen eifersüchtig, das gestehe ich gern. Aber es ist wohl ein verbreiteter Irrtum, dass ein Mädchen, nur weil es sehr gut aussieht, auch einen guten Geschmack in Sachen Männer haben müsste.»
Ich lachte. «Vielleicht wäre sie ja auf Sie geflogen, wenn Sie nicht diese ganze Putzwolle im Gesicht hätten», sagte ich.
Er fasste sich betreten an den Bart. «Sie meinen, ich sollte ihn loswerden?»
«Wenn ich Sie wäre, würde ich ihn auf ewig verbannen. Sie würden die arme Kreatur nur von ihrem Elend erlösen.»
«Aber ich mag diesen Bart», sagte er. «Es hat lange gedauert, ihn wachsen zu lassen.»
«Das verhält sich mit Riesenkürbissen ganz ähnlich. Und trotzdem wollten Sie keinen im Bett haben.»
«Wahrscheinlich haben Sie recht», räumte er gutmütig wie immer ein. «Obwohl ich mir wichtigere Gründe vorstellen kann, warum sie nichts von mir wissen will. Mir ist nämlich im Krieg nicht nur die Kraft meiner Beine abhandengekommen.»
«Wie ist das eigentlich passiert?»
«Da gibt es wirklich nicht viel zu erzählen. Eigentlich reicht es zu erklären, wie ein Pak-Geschoss funktioniert. Es hat einen massiven Kern aus einer Manganlegierung in einem harten Stahlmantel. Keine Sprengladung. Das Mangangeschoss durchbricht die Panzerarmierung allein durch seine kinetische Energie und springt dann im Inneren des Panzers herum wie ein Gummiball, wobei es alles, was es trifft, tötet und verstümmelt, bis ihm schließlich der Saft ausgeht. Simpel, aber äußerst effektiv. Ich habe als Einziger in meinem Panzer überlebt. Wobei man das damals kaum gemerkt hat. Heinrich hat mir das Leben gerettet. Wenn er nicht Arzt gewesen wäre, wäre ich jetzt nicht hier.»
«Wie haben Sie sich kennengelernt?»
«Wir kannten uns schon vor dem Krieg», sagte er. «Haben uns beim Medizinstudium in Frankfurt kennengelernt. 1928. Ich hätte ja in Wien studiert, wo ich geboren bin, wenn ich dort nicht ziemlich überstürzt weggemusst hätte. Ich hatte ein Mädchen in die Bredouille gebracht. Sie wissen schon. Kein Ruhmesblatt, das Ganze, fürchte ich. Aber so was kommt vor, oder? Nach dem Medizinstudium habe ich eine Weile in einem Krankenhaus in Westafrika gearbeitet. Und
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