Das Jesuskomplott. Thriller (German Edition)
Henderson behauptet?» Hawley blieb abrupt stehen und starrte auf die Baugerüste in hundert Metern Entfernung. Hoffentlich hatte der Sicherheitsdienst keine Richtmikrofone, mit denen sie ihr Gespräch abhören konnten. Oder gab es solche Geräte nur in Agentenfilmen? Er drehte sich zu Sarah um.
«Ganz ehrlich, hundertprozentig stichhaltig finde ich deine und Engels Vermutung immer noch nicht.»
«Wir müssen in Hendersons Büro kommen, ich bin sicher, dass er die wichtigen Unterlagen dieses Projekts dort aufbewahrt. Das Unternehmen bedeutet ihm viel zu viel, als dass er sie bereits vernichtet hat.»
Hawley lachte auf.
«Du glaubst doch selber nicht, dass uns das gelingt. Wie ich den Laden hier kenne, wird das Büro bewacht wie Fort Knox.»
Sarah reagierte nicht auf den sarkastischen Unterton, sondern drehte sich schweigend um und ging entschlossen auf das Gebäude zu. Fünf Minuten später standen sie vor Hendersons Büro. Die sonst übliche Wache fehlte, allerdings war die Tür verschlossen. Wie überall im Gebäude bekam man nur mittels einer Chipkarte oder nach Eingabe eines sechsstelligen Codes in das dafür vorgesehene, neben der Tür in die Wand eingelassene Tastenfeld Einlass.
«Das war’s dann wohl», brummte Hawley.
Vom anderen Ende des Flurs näherte sich ein Monteur im mausgrauen Overall der HAF-Techniker. Sarah holte einmal tief Luft, setzte ihr charmantestes Lächeln auf und ging auf ihn zu.
«Sie schickt der Himmel! Der Chef hat gerade angerufen. Er hat in der Eile des Aufbruchs eine wichtige Akte vergessen. Wir sollen ihm die Unterlagen unbedingt noch heute scannen und per E-Mail schicken. Wie sie halt so sind, die hohen Herren, alles soll hopphopp gehen, und wir haben die Arbeit. Dummerweise habe ich nicht nach dem Zugangscode gefragt. Anrufen mag ich ihn auch nicht, Sie wissen ja, wie cholerisch Mister Henderson reagieren kann.»
Das wusste der Monteur zwar nicht, er war dem Briten wie die meisten der Angestellten der HAF noch nie begegnet, trotzdem lächelte er Sarah mitfühlend an.
«Nichts einfacher als das, wir haben heute Morgen einen Reset der Sicherheitscodes im Verwaltungstrakt durchgeführt.»
Er drehte sich zum Tastenfeld, tippte sechs Mal die Null, und die Tür öffnete sich. Sarah und Hawley schauten sich entgeistert an. Sollte es so einfach sein, in Henderson Büro zu kommen? Sie betraten den Raum. Die Rollos an den Fenstern waren heruntergelassen, und es war dunkel. Sarah betätigte den Lichtschalter. Eine Neon-Deckenleuchte flammte mit einigen Sekunden Verzögerung auf. Außer dem Schreibtisch und zwei Schränken, deren geöffnete Türen den Blick auf leere Fächer zuließen, war der riesige Raum leer.
«Hier wird doch alles aufgelöst», brummte der Monteur. «Schade, war ein guter Job.»
***
Der große Besucherraum des Palazzo del Sant’Uffizio wirkte seltsam schmucklos. Die riesigen Bodenvasen waren leer, und auch auf den Tischen befand sich kein Blumenschmuck. Stühle und Tische standen ungeordnet durcheinander, als hätte die Putzkolonne sie zur Seite geschoben und später nicht ordentlich an ihren Platz zurückgestellt. Nichts deutete daraufhin, dass in diesem Raum in wenigen Stunden ein für die Zukunft des Christentums entscheidendes Treffen stattfinden sollte. Di Lucca lächelte. Das war die in zweitausend Jahren erworbene Ruhe und Gelassenheit des Vatikans. Wenn um sechzehn Uhr eine Sitzung stattfand, musste der Raum auch erst um diese Zeit hergerichtet sein und nicht dreieinhalb Stunden zuvor.
Bischof Legado saß an einem runden Tisch, auf dem Teller und Gläser für zwei Personen standen. Er zerteilte genüsslich eine Melone, die von einem hauchdünn geschnittenen Stück Parmaschinken umwickelt war.
«Kommen Sie, John. Eine kleine Stärkung muss sein, bevor wir in die Schlacht ziehen.»
Di Lucca verspürte keinen Hunger. Er setzte sich an den Tisch, goss sich aus einer Karaffe ein Glas Wasser ein und schaute dem Bischof beim Essen zu.
«Wenn Sie nichts essen wollen, John, können Sie mir auch sofort berichten, was der Stand der Dinge ist.»
Di Lucca erzählte vom Besuch der Gruppe beim Marchese. Der Bischof machte eine wegwerfende Geste mit der Gabel in der Hand.
«Dieser esoterische Spinner.»
Einmal mehr wunderte sich di Lucca über die Fähigkeit von Kurienmitgliedern, die Wirklichkeit auszublenden und das von ihnen selbst konstruierte Lügengebäude für wahr zu halten. Was machte ihn nur so sicher, dass man ihnen nicht eines Tages
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