Das Jobinterviewknackerbuch
wie munter Personalthemen im Lauf der letzten zehn Jahre auf der Prioritätenliste von oben nach unten purzelten und umgekehrt. Je nachdem, was gerade in Mode ist – und für was man glaubt, ausreichend Geld übrig zu haben. Mal steht »Reduzierung der Personalkosten« auf der Agenda, |25| dann die »Führungskräfte-Entwicklung«, und im darauffolgenden Jahr ist es das »Change Management«.
Hinzu kommen die Trends in der Rekrutierungsmethodik: Ebenso wie Schlaghosen, Leggings und Petticoats kommen und gehen sie. So galten vor zwanzig Jahren Einstellungstests im Bewerbungsprozess als besonders schick. In der sogenannten Postkorb-Übung mussten Kandidaten zum Beispiel die Effektivität ihrer Arbeitsorganisation am Schreibtisch beweisen. In Gruppendiskussionen wurden Teamfähigkeit und Konfliktpotenzial der Bewerber abgeprüft. Teilweise nahmen die Tests groteske Formen an, indem Bewerber in Outdoor-Trainings durch die Landschaft kletterten oder in realitätsfernen Rollenspielen entscheiden mussten, welche Gegenstände sie mitnehmen würden, um auf einer Mondstation zu überleben.
Nicht in allen Unternehmen haben derartige Tests überlebt – und wenn, wurden sie deutlich abgespeckt und berufsnäher gestaltet. Extreme Varianten wie das Stress-Interview oder Untersuchungen der Handschrift von Bewerbern kommen heute nicht mehr oft vor.
Der Chef-Recruiter eines großen IT-Dienstleisters hat uns im Interview mit einem Statement zu den Regeln und Verlässlichkeiten in der Personalarbeit eine zentrale Aussage geliefert: »Von Standards haben wir uns schon vor vielen Jahren verabschiedet!« Mit anderen Worten: Wenn es ums Vorstellungsgespräch geht, ist alles im Fluss. Was nicht bedeutet, dass sich unerfahrene Personaler, insbesondere in Konzernen, nicht gern an Spielregeln, Fahrplänen und Check-Listen festklammern. Nur: Morgen können die schon wieder ganz anders aussehen.
Gut für Sie: Kandidaten werden knapp
Einen verlässlichen Trend gibt es am Ende aber doch in der Personalarbeit. Er ist nicht zu leugnen, er ist unaufhaltsam, er verstärkt sich von Jahr zu Jahr – und er arbeitet für die Kandidaten von Vorstellungsgesprächen: der viel beschworene demografische Wandel, der |26| längerfristig dazu führen wird, dass die Arbeitskräfte knapp werden. Frauen in Deutschland bringen durchschnittlich 1,3 Kinder zur Welt – mit weiter fallender Tendenz. Dass sich die Schere zwischen offenen Stellen und dem Potenzial an Arbeitskräften unter dieser Voraussetzung schließt – wie auf der unten abgebildeten Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dargestellt –, ist leicht nachzuvollziehen.
»Aufgrund der demografischen Entwicklung geht langfristig die Zahl der erwerbsfähigen Menschen zurück und zugleich altert die Bevölkerung spürbar. Den Betrieben werden damit immer weniger und im Durchschnitt deutlich ältere Arbeitskräfte als heute zur Verfügung stehen«, prognostiziert das IAB in seiner »Projektion des Arbeitskräfteangebots bis 2050«. Um 12 Millionen Menschen soll das Arbeitskräfteangebot danach bis zum Jahr 2050 sinken! »Selbst wenn es gelingt, mehr Ältere, Frauen, Ausländer am Erwerbsleben zu beteiligen, müssen sich Wirtschaft und Gesellschaft längerfristig auf ein viel geringeres Arbeitskräftepotenzial einstellen«, heißt es in der Studie. Mit anderen Worten: Im Jahr 2050 werden sich die Arbeitgeber um die raren Arbeitskräfte prügeln. Wird es dann überhaupt noch so etwas geben wie Vorstellungsgespräche?
Der Personalleiter eines großen Beratungsunternehmens hat im Gespräch mit uns diesen Trend in folgender Aussage auf den Punkt gebracht: »Unternehmen, wie wir, arbeiten in dem Bewusstsein, dass wir um die guten Leute immer härter konkurrieren müssen, was eine Folge des demografischen Wandels ist. Die Zeiten, in denen Bewerber zu Kreuze kriechen müssen und dann vielleicht eine Chance bekommen, wenn sie sich gut benehmen, sind vorbei!« Die Personalchefin eines Softwarehauses erzählte uns, was dies konkret für ihre Arbeit bedeutet: »Im Grunde sind wir alle keine Freunde von standardisierten Prozessen. Jedes Vorstellungsgespräch ist ein Ereignis für sich. Ich schaue immer wieder aufs Neue: Wer sitzt mir da eigentlich gegenüber? Und reagiere spontan darauf.«
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Arbeitsmarktbilanz und Unterbeschäftigung in Deutschland 1995 bis 2025
Quelle:
IAB-Kurzbericht 12/2010
|28| Das AGG: Warum es oft mehr schadet als nutzt
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