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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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übrig, als sich mit dem schlecht geschriebenen Kleinzeug zu behelfen?«
    »Und warum hast du überhaupt was über Faultiere und Eichhörnchen gelesen?«
    Astrophil schwieg erst eine Weile. »Ich wollte etwas über Geschöpfe wie mich erfahren. Aber in dem Kleinzeug stand nichts über Spinnen.«

    Petra blieb stehen. Dann ging sie die Stufen in normalem Tempo hinunter. »Tut mir leid, Astro«, sagte sie. Und das tat es ihr wirklich, denn es gab kein Buch über Geschöpfe wie ihn, selbst wenn sie das zoologische Handbuch der Spinnentiere herunterholte, das ihr Vater zurate gezogen hatte, als er Astrophil machte. »Ich denke dran, dir ein Buch aufzuschlagen, bevor ich ins Bett gehe.«
    Nun war sie im Erdgeschoss und öffnete die Tür zur Werkstatt ihres Vaters, die zugleich auch der Laden der Familie war. Hier konnte man Metallobjekte und Maschinen kaufen, die Mikal Kronos geschaffen hatte.
    »Es ist eben so, dass ich ein sehr schneller Leser bin«, sagte Astrophil.
    »Ja, das bist du«, antwortete Petra voller Stolz.
    Die Werkstatt sah aus, als könnte man dort niemals das finden, wonach man suchte, und sie klang, als könnte man niemals ein Geräusch dem Ding zuordnen, das es verursachte. Doch sie war - jedenfalls behauptete das ihr Vater - nach einem sehr logischen System eingerichtet. Das wiederum war eine Logik, die nur er verstand. Doch in seiner Abwesenheit hatte Petra gelernt, das, was sie benötigte, auch zu finden (normalerweise). Auch wenn sie zweioder dreimal so lange dafür brauchte wie er.
    Aus einem riesigen Käfig unter einem Tisch in der Ecke des Raums kam lautes Quieken. Die Haustierchen aus Zinn waren hungrig und ganz erpicht darauf, herausgelassen zu werden. »Was brauchst du denn so lange?«, schrien einige von ihnen.Wie Astrophil hatten alle diese Kreaturen winzige Stimmbänder aus Metall. Metall verstärkt naturgemäß
in der Nähe erzeugte Töne. Petras Vater hatte die Tiere so entworfen, dass ihre Metallkörper ihr Stimmvolumen vergrößerten. Astrophil war eine ruhige Spinne, was Spinnen normalerweise ja auch sind. Er liebte es aber, seine Meinung über alles und jeden mitzuteilen, und er liebte es besonders, sie insgeheim Petra mitzuteilen, wenn er versteckt in ihren Haaren saß und ihr ins Ohr flüsterte, sodass niemand verstand, warum sie plötzlich loskicherte. Aber die Zinnhaustierchen konnten laut sein, wenn sie wollten. Ein kreischender Zinnaffe demonstrierte das gerade.
    Manche der Tierchen rannten auf dem Boden des Käfigs im Kreis herum, andere kletterten an den Stäben hoch. Petra machte den Käfig auf, und fünf faustgroße Mistkäfer, drei Hundewelpen mit Zinnschuppen statt Fell, ein Fink, ein Rabe, zwei Eidechsen, die zusammen verkauft werden sollten oder überhaupt nicht, einige Mäuse und ein großäugiger Affe stürmten in den Raum. Als sie sahen, wie Petra nach einem Krug mit Rapsöl und einem großen Napf auf dem Tisch griff, kamen sie alle zurückgerannt und drängelten sich um ihre Füße.
    »Was für ein Benehmen!« Astrophil rümpfte die Nase, als hätte er einen geruhsamen Spaziergang gemacht, um zu seinem Frühstück zu kommen.
    Die Tiere tauchten die Schnäbel ein und leckten oder saugten das Öl auf. Petra schubste den Affen zur Seite, um am Rand des Napfs Platz für einen Käfer zu schaffen, der gegen den Bauch des Affen geprallt war. Als die Tiere ihr Frühstück genossen hatten, bewegten sie sich ruhiger durch den Raum, mit Ausnahme der Welpen, die anfingen,
sich miteinander zu balgen. Sie waren die jüngsten der Zinntiere und erst vor sechs Monaten fertig geworden, kurz bevor Petras Vater nach Prag aufgebrochen war. Sie waren sein neustes Experiment. Anders als die anderen Tiere waren die Welpen nämlich so entworfen worden, dass sie noch wachsen würden.
    Für die Tiere war es sehr langweilig, die ganze Nacht über im Käfig eingeschlossen zu sein. Sie steckten voller Energie. Vor Jahren, als Mikal Kronos damit angefangen hatte, die Zinntiere zu schaffen, ließ er sie im ganzen Haus herumrennen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und was passierte? Eine totale Katastrophe. Gläser mit eingelegten Lebensmitteln zersplitterten auf dem Küchenboden und alles war mit Essig vollgespritzt. Ein Eichhörnchen war in den Schrank mit der Bettwäsche geraten und hatte für ein Nest mehrere Leintücher zu Lumpen zerrissen. Ein Vogel hatte einen kostbaren Spiegel zu Bruch gehen lassen, weil er mit dem Schnabel immer wieder auf sein Spiegelbild eingehackt hatte. Hätte Dita mit

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